Danke für Nichts - Die Bandbiographie

Im Frühjahr 1995 entschieden sich die Böhsen Onkelz dazu, endlich mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen und sie in Form einer Biographie zu veröffentlichen. Die Anfeindungen in der Tagespresse während der Jahre von 1990-1994, die schlampige Recherche der Journalisten und nicht zuletzt die gesamte, verfahrene Situation innerhalb und außerhalb der Band, bewegte sie zu diesem Schritt. Keine andere Band in Deutschland war jemals in einem solchen Maße als "Mittel dümmlicher politischer Agitation missbraucht" worden, schreibt Edmund Hartsch, Autor dieser Biographie in seinem Vorwort.

Hartsch traf die Onkelz im Juni 1987, als sie eines Tages unvermittelt in seinem Skate- und Snowboardladen "Cadillac Ranch" auf der Bockenheimer Landstraße auftauchten und begleitete die Band auf ihrem Weg seit dieser Zeit. Als man sich 1995 zu dem Projekt "Biographie" entschied, war es Hartsch, der am lautesten "hier - ich mach's" rief und sich kurz darauf in eine zwei-einhalbjährige Arbeitszeit stürzte. Er führte über 100 Stunden Interviews mit Band, Verwandten, Freunden, Fans und Kritikern, studierte, überarbeitete und reorganisierte das gewaltige B.O. Archiv und ließ nicht zuletzt seine persönlichen Eindrücke in dieses Werk mit einfließen. Hartsch war definitiv dichter an der Band, als es ein Journalist jemals hätte sein können und konnte so Zugang zu den intimsten Informationen erhalten. Seine Schilderung der Onkelzhistorie verarbeitete er schließlich in dem 274 Seiten und über 400 Abbildungen starkem Buch "Danke für nichts", was im September 1997 veröffentlicht wurde und sich bisher über 100.000 mal verkaufte. Das Buch gilt heute als Standard-Nachschlagewerk für alle, die genau Bescheid wissen wollen über die Onkelz und wurde damals von der Fachpresse hochgelobt. So schrieben z.B. Sven Reinfrank vom Break Out Magazin: "Selten zuvor war eine derart umfangreiche Biographie, vollgestopft mit Hintergrundinformationen, Fotos, Dates und Facts in einer Buchhandlung erhältlich..." und Götz Kühnemund, Chefredakteur des Rock Hard: " Auf jeden Fall ist "Danke für nichts" eines der lesenswertesten Bücher, die mir in den letzten Monaten in die Hände gefallen sind. Sowohl in puncto Aufbau, als auch in Bezug auf den äußerst lebhaften Schreibstil hat Edmund Hartsch hier einen tollen Job abgeliefert."


 

Abschnitt 1

Der erste Abschnitt behandelt die Kindheit der vier Bandmitglieder, ihre Jugend und ihr Wirken innerhalb der Frankfurter Punkszene. Er gibt Antworten auf die Fragen nach den Familienverhältnissen, den sozialen Umfeldern, den Strukturen und dem Hineinwachsen in eine jugendliche Subkultur. Weiterhin geht dieser Abschnitt auf die Umstände ein, die zur Gründung der Böhsen Onkelz führte.

 

Abschnitt 2

Im zweiten Abschnitt wird der Wechsel der vier Bandmitglieder von der Subkultur des "Punk" zur Subkultur der "Skinheads"aufgearbeitet und beschrieben. Die Schwerpunktthemen des zweiten Abschnitts sind die Entwicklung der Skinheadszene im Vergleich England- Deutschland, die weitere Entwicklung der einzelnen Bandmitglieder, ihre Jobs, ihre Freunde, ihr Verhalten und der Aufstieg/ Ausstieg der Band innerhalb/aus der Szene.

Abschnitt 3

Dieser Abschnitt konzentriert sich auf das Privatleben der vier Musiker nach ihrem Ausstieg aus der Skinheadszene. Die Band ist noch relativ unbekannt und Konzerte gibt es nicht. In den Medien wird nicht über die Band berichtet. Die Böhsen Onkelz sind für die Öffentlichkeit uninterressant. Schwerpunktthemen sind die Entstehung der Alben während dieser Phase und die Beziehungen der Band zu ihren Plattenfirmen.

Abschnitt 4

Im vierten und letzten Abschnitt wird der musikalische und geschäftliche Erfolg der Band unter die Lupe genommen. Besonderes Augenmerk wird auf den explodierenden Pressekrieg seit Herbst 1992 gerichtet und auf die privaten Entwicklungen der vier Musiker. Die Böhsen Onkelz sind seit 1991 eine professionelle Band. Zum einen soll dieser Abschnitt aufzeigen, welche Vorstellungen die Öffentlichkeit von der Band hat, und zum anderen, wie weit diese Vorstelllungen von der Relalität entfernt sind. Neben dem Einblick in das Verhalten der Presse und der Musikindustrie, behandeln diese Kapitel auch den Absturz des Sängers Kevin Russell in das Frankfurter Drogenmilieu. Hier soll zusammengefasst werden, sollen Diskussionsansätze geliefert werden und soll das Bild der Band korrigiert bzw. vervollständigt werden. Das Dortmunder Konzert im November 1996 bildet den Schlusspunkt.

Der Autor

Der Autor, Edmund Hartsch (*1963) kommt aus Frankfurt und genießt seit 1987 das Vertrauen der Band. Zusammen mit Stephan Weidner betrieb er von 1989 bis 1991 die "Cadillac Ranch" einen Frankfurter Skatboardladen. Edmund Hartsch hat bis 1991 als freier Journalist für verschiedene deutsche und amerikanische Skate-, Snow- und Surfmagazine gearbeitet. "Danke für nichts" ist sein erstes Buch. Hartsch arbeitet seit 1997 beim B.O. Management als freier Mitarbeiter, zuständig für Pressearbeit, Bandbetreuung, Internetredaktion, Fanzineredaktion und Archiv. Er lebt seit 1993 in San Jose - Costa Rica, Frankfurt und auf Ibiza.

Buch-Infos

Hartsch, Edmund:
Danke für Nichts - Böhse Onkelz
Frankfurt am Main: BO Management 1997
ISBN: 3-00-001743-7

23 x 27 cm, Softcover, 25,90 EUR
23 x 27 cm, Hardcover, 30,00 EUR

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Zum einlesen hier mal ein Auszug:

Abschnitt 1: Jugend und Punkphase

Der erste Abschnitt behandelt die Kindheit der vier Bandmitglieder, ihre Jugend und ihr Wirken innerhalb der Frankfurter Punkszene. Er gibt Antworten auf die Fragen nach den Familienverhältnissen, den sozialen Umfeldern, den Strukturen und dem Hineinwachsen in eine jugendliche Subkultur. Weiterhin geht dieser Abschnitt auf die Umstände ein, die zur Gründung der Böhsen Onkelz führte.

Kapitel 01: Erinnerungen  (siehe Biographie)

Kapitel 02 Türkähn raus

Stephan Weidner hauste in einem 12qm großen "Mülleimer" unter der Erde. Ein hellblauer Holzschrank verdeckte das einzige Kellerfenster, es stapelten sich die Pornohefte in den Regalen und überall lagen leere Bier- und Colaflaschen, standen übervolle Aschenbecher und schmutzige Teller, auf denen Reste von Dosengerichten und mißlungener Pasta dem Verfall trotzten. Eine Glühbirne spendete gelbes Licht. Aus einem alten Sharp-Kasi triefte schrabbelige Punkmusik und verkleisterte die Luft. Es war derb und es roch auch so. Fischiger, pilziger, moderiger Kellergestank. Man mußte aufpassen wohin man trat und man mußte richtig viel saufen, um es gut zu finden. Nach dem Mofazwischenfall war Stephan erneut und ohne Abschlußzeugnis im Rahmen einer kleinen Konferenz von der Schule geflogen. Es war die letzte Konferenz von vielen gewesen. Im Moment schwankte er zwischen dem Puff und dem Punk hin und her. Weil Tex seinem Jungen kein Geld zahlen wollte, sollte Stephan damit beginnen, seine eigene Kohle zu verdienen. Also nahm er seinen sechzehnjährigen Sohn im Spätsommer ‘79 mit in das Bordell und stellte ihn seinen Kollegen vor. Stephan war schlagfertig und frech, er ließ sich keine dummen Sprüche gefallen und konterte geschickt, was ihm schnell eine Menge Sympathien bei den älteren Luden und den Mädchen einbrachte. Natürlich spielte auch die Tatsache eine wichtige Rolle, daß er Stephan Weidner hieß und der Sohn vom Chef war. Dazu kam noch, daß man sehen konnte, daß er nicht mehr der dicke Junge war, sondern ein Jugendlicher, der gerade dabei war, zu einem kräftigen Mann heranzuwachsen und für den die Pubertät täglich mit neuen Überraschungen aufwartete. Die Anerkennung der Erwachsenen motivierte Stephan. Er trug jetzt immer häufiger lässige Anzüge und hochhackige Schuhe und er begann zum ersten Mal damit, ausgewachsenen Menschen zuzuhören. Die Ludenprägung nahm ihren Lauf. Die harten Geschichten der Zuhälter, die Geständnisse von Besäufnissen, von schrägem Sex und ultrakrasser Gewalt, mitunter gegen Freier und Konkurrenten, faszinierten ihn. Hier tat sich plötzlich eine ganz neue Welt auf. Eine große weite Ebene erwartete von ihm durchschritten zu werden. Da waren grandiose Horizonte, die golden angestrahlt und eben noch als weit entfernt gewähnt, plötzlich in erreichbare Nähe rückten. Früher oder später würde er hier eine dieser geilen Mietzen ficken, das war sicher. Ohne Hauptschulabschluß eröffneten sich ihm nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Tex hatte Stephan die Gesetze des Milieus erläutert und ihm die Vorteile eines Zuhälterlebens aufs Bunteste ausgemalt. "Du kannst immer ficken, hast immer Geld und Du brauchst nie wieder zu arbeiten...", hatte er gesagt. Das leuchtete ein. Mit 16 übernahm Stephan einen Job hinter der Theke einer kleinen Kneipe, die dem Puff in der Allerheiligenstraße angeschlossen war. Er zapfte das Bier, schenkte Korn und Wodka aus, und er hörte aufmerksam zu, wenn sich die Loddels oder die Gäste über Frauen und Geld unterhielten. Manchmal kamen Luden von der Kaiserstraße herüber und prügelten sich mit den Männern der Breite Gass’. Brutale Gefechte brachen dann los, mit Baseballschlägern, Knarren und mit Messern. Einem war sogar das Ohr von einer Dirne abgebissen worden. Stephan konnte einen unwiderstehlichen Charme an den Tag legen, wenn er mit den Huren flirtete. Zu den krassesten Typen der Szene war er freundlich und besonnen, vorwitzig, aber nicht respektlos. Trotzdem gab es niemanden, wirklich niemanden, der in das Milieuleben einstieg und keine Fehler machte. Er war keine Jungfrau mehr. Seine Bumspremiere lag bereits zwei Jahre zurück, aber hier im Bordell war alles anders, härter. Er war bereits nach wenigen Wochen bei vielen Mädchen ein gern gesehener Gast. Ein frischer Bock, unerfahren und formbar, war für einige Nutten ein lang herbeigesehnter Zeitvertreib. Aber gerade im Puff gab es strenge Regeln, und da sie niemand aufschrieb und sie nur "im Vorbeigehen" gelernt werden konnten, war es unvermeidbar, daß er irgendwann gegen eine von ihnen verstieß. Die Luden in der Breite Gass’ merkten sehr schnell, wenn eines ihrer Mädchen nur so zum Spaß fickte und neben der Arbeit etwas am laufen hatte. Stephan hatte sich wiederholt bei verschiedenen Frauen, die für verschiedene Loddel anschafften, in das falsche Bett gelegt und auch wenn er hundertmal der Sohn vom Chef war, so kam es dennoch zu knisternden Auseinandersetzungen. Meistens konnte Tex die aufgebrachten Männer beruhigen, aber einmal war er gezwungen, sich für seinen Sohn "richtig gerade" zu machen. Stephan hatte es nicht auf Konfrontation angelegt, nicht im Puff, er war ja nicht von gestern. Es passierte eben manchmal. Nach einer zweimonatigen Einarbeitungszeit hatte Stephan zwei scheckheftgepflegte Stuten, die für den väterlichen Stall ritten, zu seiner persönlichen Verfügung. Margo und Jaqueline, eine Deutsche und eine Französin, hielten sich ihre Abend- und Nachtstunden für Stephan frei. Sie nahmen sich Zeit für ihn und unterwiesen ihn in exquisiter Fick-Akrobatik und gediegener Vögelei. Morgens legten sie ihm Geld auf den Nachttisch. 500,-DM am Montag, 200,- DM am Mittwoch, 350,-DM am Sonntag... und er nahm es nicht. Mal einen Hunderter für Mofasprit und eine neue Jeansjacke, mal einen Fünziger fürs Kino und das Wochenende, aber das war alles. Er nahm es einfach nicht. Er legte auch schnell die Ludenkleidung wieder ab und kehrte zu Turnschuhen, T-Shirt und Punkrock zurück. Die Frauen waren nett, das schon - hübsch, geil und nett - und die Fellatio richtig ausgeführt, war eine feine Sache, aber Geld konnte er von ihnen nicht nehmen. War er die Nutte, oder waren sie die Nutten? Er fickte sie, weil es ihm Spaß machte und weil er sie mochte, aber bezahlen lassen wollte er sich nicht dafür. Die grundlegenden Dinge der Zuhälterei hatte er zwar begriffen, aber dennoch würde er nicht hingehen und die Frauen schlagen, Geld von ihnen einfordern oder Almosen annehmen. Jaqueline und ihre Kollegin verstanden die Welt nicht mehr. Was hatte der denn für ein Problem? Und wieder mußte Tex die Wellen glattbügeln. "Tex, wass iesst louss miet deine ssoohn? Geb’ isch füüünf ‘uunderrt, niemmt erre nurre ‘uunderrt ! Geb’isch champagner, wiel erre bierre...!"


Kevin Russell war am 12. Januar 1964 in Hamburg-Rahlstedt, als drittes und verspätetes Kind in eine Familie von fragwürdiger Harmonie hineingeboren worden. Eigentlich war er schon das dritte überflüssige Kind in einer Ehe, die niemals hätte geschlossen werden dürfen. Sein Vater, der Kapitän Russell, war Engländer und flog als schneidiger Pilot der Lufthansa die großen Maschinen im internationalen Verkehr. Es verlief ähnlich wie bei Weidners. Auch in dieser Familie war die Mutter mit den Kindern alleine geblieben. Der Vater war in Bombay und Cancun, landete in Miami zum Tanken und flog von Frankfurt nach New York. Nur zu Hause war er nie. Als Kevin noch ein Kind war, begann seine Mutter zu trinken. Frau Russell zog es täglich in das Haus ihrer Nachbarin "Mudder Merten", wo die zwei Frauen gleichmäßig pichelten, bis sie voll waren. Obstler, Korn, Bier und Wodka, alles, was die Hausbar hergab. Der Anblick seiner betrunkenen Mutter verfolgte Kevin täglich. Noch in Hamburg-Rahlstedt hatte er seine Mutter unzählige Male mit seinem älteren Bruder Kai bei der Nachbarin "Mudder Merten" abholen müssen. Morgens um 4:00 in der Schubkarre. Der hirnrissige Versuch, durch den Umzug nach Hösbach, im Einzugsgebiet des Frankfurter Flughafens, Frau Russell von ihrer Trunksucht befreien zu wollen, war fehlgeschlagen. Auch hier gab es Nachbarinnen, die gerne tranken. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase, begann Kevins Mutter auch in Hösbach ihren Frust im Schnaps zu ertränken. Herr Russell, wenn er einmal zu Hause war, brüllte seine Frau an und zusammen schrien und schlugen sie auf die Kinder ein. Viele Male hatte Herr Russell seine Söhne verprügelt, aber niemand in der Familie hatte soviel einstecken müssen wie Kevin. Mit Gürteln, mit Holzlöffeln oder mit der Faust, wie es sich gerade ergab. In Hösbach, seit er 15 war, wurde die Gewalt seines Vaters allmählich weniger, von einer heilen Familiensituation konnte dennoch keine Rede sein. Der einzige Lichtblick im Zusammenleben der Russells bestand darin, daß Kevins Vater die gesamte Familie einmal pro Jahr nach Kenia einlud. 1977 hatte er dort ein Haus gebaut, in dem die Familie regelmäßig Urlaub machte. In Kenia entdeckte Kevin seine Liebe zur Hochseeangelei, die ihn nie wieder losließ. Die meiste Zeit aber, war ‘Kevin allein zuhaus’, in Hamburg, sowie in Hösbach. Wie sehr er seine Eltern dafür hasste, konnte niemand sagen, aber er erzählte oft davon, daß er seine Mutter irgendwann die Kellertreppe runterschubsen würde. Sie würde in ihrem Rausch sowieso nichts merken, und die Scheiße hätte dann endlich ein Ende.

Kapitel 03: Double life Gonzo und die Frontstadt Frankfurt

Angefangen hatte der Punk in Frankfurt 1979 mit der Karl-Marx-Buchhandlung in der Jordanstraße, wo Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer die ersten Punkplatten verscherbelten. Über diese Connection waren die Punks auch auf das JUZ aufmerksam gemacht worden und 1981 wuchs der innere Kreis sehr schnell. Es wurden plötzlich immer mehr. Viele schielten fortwährend mit einem Auge nach England. Welche Klamotten? Welche Musik? Welche Trends? Auch wenn sie noch so "Anti" waren, sie konnten gar nicht anders. Die fehlende Identität der Jugendlichen ließ ihnen keine andere Wahl, als die englischen Trends zu kopieren und infolgedessen uniform zu wirken. Gonzo selbst begann immer mehr wie Sid Vicious auszusehen. Abgesehen von den gleichen Stiefeln und dem identischen Haarschnitt, trug Gonzo jetzt auch das gleiche Fahrradschloß um den Hals und die gleiche Liebe zur Selbstzerstörung im Herzen. Nur konnte Gonzo besser Bass spielen. Mit Heiko aus Schwalbach und Frankie Frosch aus Bad Soden gründete er ebenfals im Winter ´80/´81 seine erste Punkband. "Antikörper". Antikörper hatten mit etwas Glück einen Proberaum genau über dem JUZ Bockenheim ergattern können, wo Gonzo mit seinen Freunden an den ersten Punkliedern feilte und wo sich auch gerne die Böhsen Onkäls und andere Punks aufhielten. Neben Antikörper, den Hösbachern, und den Mülleimerformationen, gab es in Frankfurt auch "richtige" Punkbands. Bands, die schon seit ein, zwei Jahren dabei waren und ein großes Repertoire an guten Pogostücken besaßen. "Middle Class Fantasies", "Bildstörung", "Straßenjungs"

MCF waren die Punkband der Stunde. Sie spielten ständig im JUZ und ihre Gigs galten unter den Punks als absolute Pflichtveranstaltungen. Ihr Sänger Christoph Schnee und die Musiker von MCF waren im Durchschnitt ein paar Jahre älter, als die meisten anderen Punks und wirkten somit glaubwürdiger. Der Respekt, den man der Band entgegenbrachte, war auch auf ihre musikalischen Fähigkeiten und ihre ausdrucksstarken Texte zurückzuführen.

Frankfurt war krasser. Frankfurt war schon immer krasser und aggressiver, als jede andere deutsche Großstadt. Ein einziger, gewalttätiger, käseblasser Hangover. Frankfurt war "multikriminell". Hier gab es schneller auf´s Maul als anderswo, die Gewalt war immer präsent und nirgendwo war soviel Italo-, Marokk- und Jugomafia unterwegs wie hier. "Ey, Alder, machst Du nisch dumm rrum, gibt es Prroblem, kommst Du. Fick´ isch Deine Mutter und schlachte Deine Hund, weißte wie?"
Nirgendwo wurde soviel H. geschoßen und Speed gezogen. Nirgendwo wurde soviel geraubt, gedealt und gemordet wie in Frankfurt. Hinzu kamen verfeindete Rockerbanden, deutsche und ausländische Jugendgangs und die Startbahn-West-Krawalle, die mittlerweile gigantische Ausmaße angenommen hatten. Im Sommer 1980 hatte es am Eisernen Steg die Flohmarktausschreitungen gegeben, bei denen die Polizei mit Wasserwerfern und Spezialeinheiten gegen Punks, Startbahngegner und RAF-Symphatisanten vorging. Punks und Radikale hatten Barrikaden und Straßensperren errichtet und die Bullen mit Steinen und Molotowcocktails beworfen.
1981 feierte man im JUZ den Weltuntergang. Ab jetzt würde es nur noch Terror geben und zwar bis zum bitteren Ende. An jedem Wochenende trafen sich die "FFM-Punx" im JUZ Bockenheim, am Flohmarkt oder im Sachsenhäuser Park. Es war kalt und sie bemühten sich bei Laune zu bleiben. Hofi verkaufte dem hungrigen Bravo seine Kotze. Monoton, ein fieser Asi-punk, der immer sabberte und ständig zu Streit und vulgärem Entertainment aufgelegt war, leckte seine eigene Rotze auf, schluckte Kotze gegen Geld und fraß Taubenkacke auf Pommes nur so zum Spaß. Sie pissten sich gegenseitig ins Bier und Kevin, Hofi, Kuchen, Gonzo und Körperfresser ritzten sich mit Glasscherben die Arme und Waden auf, als wollten sie sich für einen bevorstehenden Krieg abhärten. Zum Alkohol und den Kippen kam jetzt wieder das Hasch, und weil das nicht ausreichte, experimentierten sie mit den ersten Chemikalien. Ephydrin und Pattex waren ab ´81 angesagte Drogen. Ephydrin war ein Aufputschmittel, das es in der Apotheke am Goetheplatz gab, rezeptfrei. Ein, zwei "Ephies", und schon fing die Kopfhaut an zu brutzeln. Wie Kriechstrom, der sich am Hinterkopf aus der Fontanelle schälte und sich dann wie ein elektrisch geladener Waschlappen über den Schädel legte. Die Wirkung von Pattex und Lösungsmitteln war weit heftiger. Pe probierte es ein-, zweimal aus und war erstaunt und froh darüber, daß es außer "betrunken" oder "nüchtern" auch noch andere Zustände gab, sogar wenn diese von Panik und Angst durchzuckt wurden.

Kapitel 04: Böhse Onkälz

Im September ´81 fand in der Batschkapp das "Radio Isnogud Festival" statt. Das war die Promotionveranstaltung eines Frankfurter Piratensenders. Es waren mehrere Frankfurter Hippiebands gebucht und zusätzlich sollte Punkrock gespielt werden. Das Publikum, zu dem an diesem Abend auch die Böhsen Onkelz gehörten, bestand zu zwei großen Teilen aus Punks und Hippies und zu drei weiteren kleinen Teilen aus Linken, Normalos und Freaks. Als die Hippiebands mit ihrem Set fertig waren und man sie gebührend ausgepfiffen hatte, wurden die Böhsen Onkelz gefragt, ob sie nicht spontan ein paar Pogosongs vortragen wollten. Die Böhsen Onkelz wollten schon, aber die Hippies hatten verständlicherweise nicht die geringste Lust diesen verranzten Dreckspunks ihre teuren Instrumente zu überlassen. Diskutiert wurde darüber nicht. Kevin verteilte erst ein paar Kopfnüsse und anschließend die Instrumente an seine Freunde. Das war ein Programm, genau auf den Geschmack der Punks abgestimmt. Ohrfeigen, klitsch-klatsch und in all dem Durcheinander legten die Böhsen Onkelz los. "Türken raus", "Hinein in das schäumende Bier", "Mösensaft", "Mehr Pogo", "Harakiri", "Idiot" und "schöner Tag". Der Pöbel rockte. Nicht einmal die Hippies konnten still stehen bleiben, als es losging. Als letztes Stück, beim "Radio Isnogud Festival" spielten sie ihr neues Lied "Hippies". "hippies, hippies, hippies, ich will euch mal was sagen, ihr seid nur ein haufen scheiß, ich kann euch nicht ertragen..." Das hatte gesessen. Die ersten Flaschen segelten durch den Raum, vor der Bühne entbrannte eine Schlägerei und Kevin brüllte zu allem Überfluß auch noch "Hippies ins KZ - Hippies ins KZ" ins Mikro. So, jetzt hatte der Spaß ein Ende. Das war zuviel. Die Batschkappleitung und das Publikum waren extrem verärgert. Unter lautem Geschrei und einem unbeschreiblichen Pfeifkonzert waren die Onkelz grinsend von der Bühne gegangen. Stephan und Kevin entschuldigten sich ein paar Tage später und erklärten wie es dazu gekommen war, daß man sich hat hinreißen lassen und daß man gewiß nur provozieren wollte. -----Drei Wochen später gab die Batschkapp ihnen eine neue Chance. Sie galten als zu gut und zu wichtig für Frankfurt, um einfach übergangen zu werden. Am 7. Oktober 1981 spielten die Böhsen Onkelz zum ersten Mal als Headliner in der ´Kapp. Das war nicht ganz unbedeutend. Die Batschkapp hatte einen guten Ruf. Buzzcocks, KFC, Abwärts, Fehlfarben, Malaria; wer hatte nicht schon alles dort gespielt? Für diesen Mittwoch waren die Böhsen Onkelz und die "Razors" als Support angekündigt und da ihnen ihr Ruf auch hierher voraus eilte, war der Laden mit 800 Leuten ausverkauft. Diesmal bestand das Publikum fast ausschließlich aus Punks. Mösensaft, Idiot, ein neuer Song der Religion hieß, Harakiri und Hippies standen auf der Setliste. Bei "Hinein in das schäumende Bier" warf Kevin palettenweise Hansapils aus dem Aldimarkt in die Menge. Er kroch besoffen auf der Bühne herum, goß Bier über seinen Körper, grunzte und röchelte in das Mikrophon wie ein Schwein. "...ich bin ein idiot, ich bin ein idiot, hahahahahahaha, komm spiel´mit mir, hab´doch keine Angst, ich bin ein idiot..." Stephan sprang von einem Bein aufs andere, drehte sich im Kreis und ließ sich auf die Knie fallen. Bei "Türken Raus" ritzte sich Gonzo die nackte Brust auf, bis das Blut sid-vicious-mäßig an ihm heruntertropfte und seine Hände und der Bass rot verschmiert waren. "...danach der nexte höhepunkt: BOEHSE ONKELZ! sie spielten superobergeil! dem sänger platzten beinahe die schläfen + er lief rot+grün an. der drummer verprügelte das schlagzeug, daß es nur so eine freude war! der gitarrero schrammte wie blöde und der bassist gonzo vergewaltigte seinen bass, hüpfte in die luft und zog die totale show ab. das zeigt mal wieder, daß sid vicious nur ein mittelmäßiger gonzo-imitator war und nie seine größe erreichte!! die musik war so schnell/hart, daß pogo praktisch unmöglich war. darum wurde geheadbangt, daß es knallte!!! OUKÄI!!..."
(aus "Primitiefes Leben" Nr.3, September 1981)

 

Abschnitt 2: Oi- und Skinheadphase

Im zweiten Abschnitt wird der Wechsel der vier Bandmitglieder von der Subkultur des "Punk" zur Subkultur der "Skinheads"aufgearbeitet und beschrieben. Die Schwerpunktthemen des zweiten Abschnitts sind die Entwicklung der Skinheadszene im Vergleich England- Deutschland, die weitere Entwicklung der einzelnen Bandmitglieder, ihre Jobs, ihre
Freunde, ihr Verhalten und der Aufstieg/ Ausstieg der Band innerhalb/aus der Szene.

Kapitel 05: Oi, oi, oi

Aus der Menge an Bands, die dort weiter machten, wo Jimmy Pursey mit Sham 69 im Sommer/Herbst 1979 gescheitert war, gingen zwei Gruppen hervor, die in den wenigen Jahren ihres Wirkens, einem der größten Kulte, der jemals aus der britischen Arbeiterklasse entstanden war, zu neuem Leben verhalfen, dem Skinheadkult. Angelic Upstarts aus Tyneside, einer Werftarbeitergegend in Nord-London und die fußballbesessenen Cockney Rejects aus dem Londoner Eastend. Wie auch die Mitglieder von Sham, waren diese Musiker weder Punks, noch waren sie Skinheads, sondern schlicht Workingclass. Beide Kombos wurden von Pursey produziert und trieben den schnellen atemlosen Streetpunk aus den Tagen der Sham Army voran. Auch zogen diese Bands gewaltige Scharen von Punks und Skinheads in die Hallen, und wie schon bei den Sham 69 Konzerten, kam es bei diesen Gigs regelmäßig zu Schlägereien und blutigen Krawallen. Die Cockney Rejects ließen während keiner ihrer Shows Zweifel daran aufkommen, wie sehr sie hinter ihrem Fußballclub "Westham United" standen. Auch nicht, wenn ihre Gigs von 200 Birmingham-Fanglatzen heimgesucht wurden. In einer Zeit, in der in England die gewalttätigen Ausschreitungen während der Fußballspiele einen neuen Höhepunkt erreichten, sangen sie "War on the terraces" und "We are the firm". Die Presse war auf blutige Fotos und Geschichten von randalierenden Fußballhooligans ganz besonders scharf. Ihre Berichterstattung war an Recherchefehlern und Lügen kaum noch zu überbieten. Diese Artikel gaben den Jugendlichen erst die präzise Anleitung, wie sie sich in Zukunft zu verhalten hatten, um diesem provokanten Bild zu entsprechen. Feuer wurde mit Benzin gelöscht.
Stinky Turner, der Sänger der "Rejects", hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, seine Songs mit einem hastigen "Oi,Oi,Oi" (Oi =Cockney für Hey) anzuzählen, anstelle des üblichen "one, two, three" und lieferte damit der britischen Arbeiterjugend einen griffigen Schlachtruf. Manager der Rejects war Gerry Bushell, der gleichzeitig als Musikjournalist für die "Sounds" arbeitete. Außer ein paar wenigen Artikeln, die Bushell für Sounds schrieb, blieb das Oi-Phänomen unerwähnt. Obwohl die Veröffentlichungen der Angelic Upstarts und der Cockney Rejects sich regelmäßig in den Top 50 festbissen, wurden diese Bands von den Musikzeitschriften ignoriert. Was für die englische Workingclass Jugend das Größte überhaupt war, galt für die britische Musikindustrie als peinlich und asozial.

Am 14. November 1981 spielten die Böhsen Onkelz zusammen mit den Pseudos im türkischen Familienzentrum am Wiesenhüttenplatz, in der Nähe des Hauptbahnhofs. Der Song "Türken Raus", der immer noch zum Repertoire gehörte, wurde hier eher als Lachnummer begrüßt. Gonzo war immer noch Bassist in der Band und als einer der ersten Oi-Skins in der Frankfurter Szene, ging von ihm der Impuls aus, auf den viele seiner Freunde nur gewartet hatten. Kevin, achtzehnjährig, schwarzhaarig, besoffen und noch als Asipunk, übel riechend, aber hoch motiviert unterwegs, war sofort begeistert. Wie immer, wenn ihm jemand aus seinem engsten Freundeskreis die Richtung wies, verstand er auch an diesem Abend sofort, was Gonzo sagen wollte, als der ihm vom Oi-Punk erzählte. "Oi, na klar, Punk ohne Poser, ... Fußball und saufen, ... HSV find ich eh` geil... unpolitisch, logo, ... nicht so asi, ... aber trotzdem krass, Bomberjacke und Stiefel ... is schon klar, Alder!"
Wenn sich die Böhsen Onkelz für etwas entscheiden mußten, schielten sie immer mit einem Auge auf die größtmögliche, erzielbare Menge an Spaß. Nur was Spaß versprach, wurde ausprobiert, und wenn sich etwas tatsächlich als lustig erwies, dann gingen sie steil in diese Richtung und prügelten sich den Weg frei, um auch wirklich den meisten Spaß zu haben. Ein "Oi-Punk/Skin" zu werden, erschien ihnen als konsequenter und richtiger Schritt. Die Haare etwas kürzer und gepflegter zu tragen, mehr Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, jetzt, wo man volljährig war, sich trotzdem weiterhin den Schädel einzurennen und bei all dem Kampf die Band nicht sterben zu lassen, darin lag eine Herausforderung und die Hoffnung auf jede Menge Spaß. Noch im November schnitten sich Kevin und Stephan die Haare auf Streichholzlänge und tauschten ihre zerschlissenen Mäntel gegen olivgrüne Bomberjacken.

Kapitel 06: Das Demotape

Wenn der HSV ein Heimspiel hatte, konnte man davon ausgehen, daß Kevin dort war. Regelmäßig besuchte er die Spiele im Volksparkstadion und es dauerte nicht lange, bis die ersten Kontakte zur "Westkurve" geknüpft waren. Kevins Vorfahren mütterlicherseits waren waschechte Hanseaten gewesen, und aufgrund seiner frühen Jahre in Rahlstedt, kam er mit der Hamburger Lebensart bestens zurecht. Im Frühling ‘82, nach seinem 19ten Geburtstag, lernte Kevin das krassere Fanpotential des HSV kennen. Hier im blau/schwarz/weißen Fahnenmeer war das Klima noch rauher als im Frankfurter Waldstadion. Im Block E der Hamburger Westkurve, war von Gas-, Schreckschuß- und Leuchtpistolen die Rede. Von Messern, Totschlägern und von asiatischen Würgehölzern. Der Funke der Fußballgewalt war von England auf Deutschland übergesprungen und die "Hamburger Löwen" standen auf der Liste der brutalsten Hoo-ligangruppierungen ganz oben. Die Bezeichnung "Hooligan" war eine britische Erfindung aus der Music Hall Szene des späten 19.Jahrhunderts und ging auf den irischen Familiennamen Haulihan zurück. Die Haulihans waren eine Arbeitersippe, die rauf- und trunksüchtig durch London zogen.
Die Löwen waren eine Mischung aus Rockern, Hooligans und Asis. Fiese Raubtiere, durchweg tätowiert. Spinnennetz am Hals und Knastträne unterm Auge, Gipsarm und Hakenkreuzanhänger, alle groß und breit und furchteinflößend, 60 Mann im Strudel von Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Kriminalität. Wikingerhafte Proleten, ohne Schulbildung und ohne Jobs, aber mit dicken aufgeschlagenen Fingernknöcheln und einem Aggressionspotential, das sogar Kevin beeindruckte. Es gab auch enge Kontakte zwischen den Löwen und Hamburger Skinheads von der "Savage Army". Oft trafen sich Anhänger beider Gruppen vor den Spielen zum Saufen und einige Male war auch Kevin mit dabei. Beim Fußball lernte Kevin den elf Jahre älteren Hamburger Skinhead Helmut W. kennen, der in der Szene als besonders hart galt. Härte war in diesen Tagen die wichtigste Trennungslinie zwischen den Jugendlichen. Entweder einer war hart drauf, dann war er etwas wert, oder er war ein "Mitläufer", ein "Lutscher", dann konnte man getrost auf ihn verzichten. Für Kevin war es wichtig, hart zu erscheinen und mit den Härtesten zusammen zu sein. Härte gab ihm ein Gefühl von Wichtigkeit und Selbstwert, ohne das er nicht existieren konnte und hinter dem er seine eigene Unsicherheit verbarg.

Stephan war mit der Frankfurter Eintracht groß geworden. Fußball nahm, seit er laufen konnte, in seinem Leben einen wichtigen Platz ein. Da seine gesamte Existenz auf Kampf ausgelegt war und er sich nur über Aggressionen ausdrücken konnte, war es nicht verwunderlich, daß er an jedem Heimspielsamstag ins Waldstadion fuhr und sich an den Kämpfen der Skinheads und Hooligans beteiligte. Die Frankfurter Hooligan-Gruppe bestand größtenteils aus Asikids, Ausländern und Prologymnasiasten ohne Skinhead- oder Punkroots. Viele dieser Jugendlichen hatten das plakative Bild der Medien übernommen und sind erst durch die Zeitungsberichte auf die Idee gekommen im Stadion mitzumischen. Seiteneinsteiger, die Bomberjacken und Jogginghosen trugen, die mit dem Skinheadkult mitschwimmen wollten, weil sie glaubten, es würde nur um Gewalt gehen. Entweder Jungs, die nichts zu verlieren hatten, oder Jungs aus gutem Hause mit Bock auf Krieg. Innerhalb kürzester Zeit vermischten sich hier die Werte. Wie schon zuvor in England begannen jetzt auch in Deutschland die rechtsradikalen Parteien und Verbände verschärft in die Fußballszene einzugreifen. Diese Personen waren keine Glatzen, sondern Scheitelträger. Die Onkelz haßten diese lächerlichen Gestalten in ihren schwarzen Hemden und den albernen Krawatten. "Hör mal, ich bin von der FAP, Du findest Ausländer doch auch scheiße, oder? Hier ist ein Flyer von uns, lies ihn Dir doch mal durch... ach ja, wir veranstalten auch Skinheadkonzerte mit viel Freibier und Grillabende...", so ganz auf die lockere Art kamen die angepirscht und sangen den Leuten ihre Paranoia ins Ohr. Die Idee des Skinheadkultes hatte gerade darin gelegen, sich nicht vor den Karren einer politischen Partei spannen zu lassen. Man durfte nicht den Fehler machen, alle Skinheads in einen Topf zu werfen. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres ‘82 tauchten die Skinheads noch nicht auf, und der Bericht von 1983 meldete Folgendes: "... Ob es Neonazis künftig gelingen wird, Teile der gewalttätigen, aber im Grunde unpolitischen jugendlichen Subkulturgruppen an sich zu binden, muß bezweifelt werden. Rechtsextremistische Grundhaltungen sind mit der Vorstellungswelt und der Lebensweise dieser Jugendlichen nur schwer in Einklang zu bringen..."
Nur ein kleiner Teil der deutschen Skinheadszene war 1982 als rechtsradikal einzustufen. Die Mehrheit verstand sich als apolitisch und stolz. Stolz stand zu dieser Zeit wohl eher für das Gefühl von Trotz gegen die eigenenen Großeltern und Eltern, von denen die meisten Nazis gewesen sein mußten. Wenn nicht die eigenen, dann die eines Freundes. Das Gefühl der Gemeinschaft galt immer noch als höchstes Gut bei den Skinheads. "Skins united" stand über allem, und zudem gab es noch zahlreiche Freundschaften und gute Verbindungen aus alten Punktagen. Die Spaltung, die die englische Jugend erlebt hatte, war in Deutschland Anfang ‘83, noch nicht abgeschlossen.

Kapitel 07: Doc Martens Beat

Kapitel 08: Der nette Mann

“Der Nette Mann” schlug ein wie ein Meteorit. Nicht nur ließen sich mindestens 30 Skinheads im Umkreis der Band das gleiche Böhse Onkelz Tattoo stechen, wie es Gonzo, Kevin und Pe auf ihren rechten Unterarmen trugen, "Kill the Hippies", Schwert und Würfel, sondern es galt auch als äußerst schick in der Szene, die Böhsen Onkelz persönlich zu kennen. Innerhalb weniger Monate nach Erscheinen des ersten Albums, verschwand die Band hinter einem dichten Schleier aus Gehörtem und Weitererzähltem. Was damals schon an Gerüchten über die Band kursierte, war nicht mehr normal. Jeder hatte schon mal mit ihnen ein Bier getrunken und jeder war mal mit einem von ihnen beim Fußball gewesen oder hatte bei einer Schlägerei Seite an Seite mit Kevin oder Stephan gekämpft. Die Böhsen Onkelz waren bereits zu diesem Zeitpunkt eine in Gerüchten und Legenden gehüllte Gruppe. Im Westen wie im Osten. Geschichten über Alkoholexzesse und üble Schlägereien machten die Runde, genauso wie ihre Demotapes und die Interpretationen ihrer Lieder und ihrer Gesinnung. Daß sie den glaubwürdigsten und ausgereiftesten deutschen Skinheadpogo spielten, daran bestand kein Zweifel, und für die Bestätigung ihrer politischen Ausrichtung, gab es immer einige dubiose Augenzeugen, die genau gesehen haben wollen, wie Stephan oder Kevin den Hitlergruß gemacht haben. Stephan, Gonzo und Pe hatten nur sehr selten ihren rechten Arm gestreckt, höchstens einmal als Verarschung oder als Provokation. Sie hassten Nazisymbolik. Sie folgten niemandem außer sich selbst, und das würde sich auch in Zukunft nicht ändern. Sie wußten inzwischen genau, wie gefährlich diese Zeichen geworden waren. Es war ihnen verdächtig und unangenehm, wenn Leute Parolen nachbrüllten, ohne eine eigene Meinung zu haben, ohne darüber nachgedacht zu haben. Wie Kevin manchmal, der im Sachsenhäuserpark mit gestrecktem Arm für die Reporter vom Stern posierte. „Mach doch bitte mal einen Hitlergruß" forderten sie ihn auf, und einen Kasten Bier zahlten sie ihm dafür, daß sein Bild in schwarz/weiß auf einer ganzen Seite und in millionenfacher Auflage durch die Republik geisterte. Aber wer Kevin wirklich kannte, wußte auch, wie scheißegal ihm das alles war. Für eine Kiste Bier hätte er auch seinen untätowierten Hintern in die Kamera gehalten.

Kapitel 09: Böse Menschen, böse Lieder

Die Berliner Szene, von der man wußte, daß sie ein starkes rechtes Gefälle aufwies, hatte erneut zum „Kameradschaftsabend" in Berlin-Wedding geladen. Diesmal waren gut 200 Kahlköpfe im KdF-Proberaum zusammen gekommen und forderten lautstark „Onkelz, Onkelz". Das Gebrüll der Zuschauer während des letzten Bunkerkonzertes war verhalten gewesen. Der Spaß hatte noch im Vordergrund gestanden. Bei diesem Gig jedoch gingen schon zu Beginn der Show die Arme zum Hitlergruß in die Luft. Tatsächlich waren die Onkelz ein- und anschließend wieder ausgeladen worden. Nur, weil eine andere Skinband abgesagt hatte, war man auf die Frankfurter zurückgekommen. Genaugenommen hatte die Hardcore-Szene schon seit Lübeck keinen Bock mehr auf die Onkelz, weil sie ihnen nicht „rechts" genug waren. Außer Kevin hatte niemand mehr eine Glatze. Das hielt die Berliner allerdings nicht davon ab, jedes Lied mitzusingen. Die Band konnte nie den richtigen Draht zu den Skinheads finden. Auch Stephan trank wie ein Loch und prügelte, wenn er sich angegriffen fühlte, aber dennoch war ihm die rechtsradikale Argumentation zu primitiv und zu albern. Vor der winzigen Bühne, in diesem kleinen Betonloch, in dem es kaum genug Luft zum Atmen gab, tummelte sich ein Haufen der brutalsten Berliner Glatzen. Ohne T-Shirts, mit Hosenträgern und blau-schwarzen Tattoos auf Brust und Armen, schwappten sie hin und her. Eine grölende Ansammlung volltrunkener Härtnerskins, die sich umarmten und immer einiger und synchroner skandierten. „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus". Gonzo und Pe kümmerten sich wenig darum. Sie zogen ihr Ding durch. Wenn etwas bei Skinheadkonzerten verpönt war, dann waren das rainbowmäßige Gitarrensolis. Skinheads wollten singen, grölen, brüllen, nicht die haarlosen Köpfe schütteln. Kevin grinste und schüttelte Hände von Bekannten, unterließ jedoch jede Äußerung, die die Stimmung noch mehr anheizen könnte. Stephan machte gute Mine zum bösen Spiel, aber die „Ausländer-Raus"- Rufe und die erhobenen rechten Arme waren für ihn ein Schlüsselerlebnis. Die Sonne der Kultur stand niedrig, wen wunderte es da, daß Zwerge lange Schatten warfen. Sie würden gehen, und Kevin würden sie mit sich nehmen. Nach dem Konzert saßen sie hinter einem Vorhang und schnaubten vor Wut. Dieses ewige dumme Gelaber. Dieses ewige Gehetze und Getratsche, sogar untereinander. Die Skinheadszene war verloren, der Skinheadkult war tot. Die junge Arbeiterklasse, falls es so etwas je gegeben hatte, hatte ihre Seele verkauft, als sie damit begann auf sozial Schwächeren rumzuhacken, anstatt sich weiterhin gegen die Autoritäten aufzulehnen. Dieser Teil der Jugend war am äußersten rechten Rand der Rebellion angelangt, und trotz all ihres Stolzes und ihrer vermeintlichen Vorliebe für Gerechtigkeit, hatten sie wieder einmal dem Teufel den Arsch geküßt.

Kapitel 10: Der Ausstieg  

Abschnitt 3: Untergrundphase

Dieser Abschnitt konzentriert sich auf das Privatleben der vier Musiker nach ihrem Ausstieg aus der Skinheadszene. Die Band ist noch relativ unbekannt und Konzerte gibt es nicht. In den Medien wird nicht über die
Band berichtet. Die Böhsen Onkelz sind für die Öffentlichkeit uninterressant. Schwerpunktthemen sind die Entstehung der Alben während dieser Phase und die Beziehungen der Band zu ihren Plattenfirmen.

Kapitel 11: Aus der Ferne betrachtet

So wie ihre eigene Musik sich nun zum Heavy Metal entwickelte, änderte sich auch ihr persönlicher Musikgeschmack. Die klassischen englischen Krawallbands traten in den Hintergrund. Auch Gerry Bushell´s Oi-Compilations hatten schon lange an Reiz verloren. Seit ´86/´87 gehörten Motörhead, D.R.I., S.O.D. und Nuclear Assault zum täglichen Musikkonsum. Um sich jedoch sofort über die langhaarige Headbangerfraktion hinwegzusetzen und um den Speedmetal auf´s Korn zu nehmen, schrieben Stephan und Gonzo das Instrumentalstück mit dem ! "Ausrufezeichen", das den Arbeitstitel "Speed" trug. Während der zweiten Strophe konnte man Gonzo ins Mikro keuchen hören, der so tat, als wenn er außer Atem wäre und mit dem Spielen nicht mehr hinterher käme.
"Geht Eure Wege, Eure Wege allein...", war die letzte Nachricht an die deutschen Skinheads. Mehr konnten sie für ihre alten Fans nicht tun. Um die eigenen Erlebnisse zu verarbeiten und für alle Fans, die mit den Onkelz angefangen hatten und jetzt ebenfalls einen Wendepunkt in ihrem Leben erreicht hatten, schrieben die Onkelz diesen letzten Gruß:

Erinnerungen

Hast du wirklich dran geglaubt
daß die zeit nicht weiter geht
hast du wirklich dran geglaubt
daß sich alles um dich dreht
man hat sich reichlich gehau´n
und nie dazu gelernt
viel alkohol, viel frauen
von der wirklichkeit entfernt

Ich erinn´re mich gern an diese zeit
eine zeit, die man nie vergißt
doch ich muß mein leben leben
meinen weg alleine geh´n
mach´s gut du schöne zeit
auf wiederseh´n

Hast du wirklich dran geglaubt
daß die zeit nicht weiter geht
hast du wirklich dran geglaubt
daß sich alles um dich dreht
es war nicht alles gold was glänzte
und doch, es war schön
es war nicht alles gold was glänzte
du trägst die narben der zeit
die nie vergeh´n

Ich erinn´re mich gern an diese zeit
eine zeit, die man nie vergißt
doch ich muß mein leben leben
meinen weg alleine geh´n
mach´s gut du schöne zeit
auf wiederseh´n


So wie es angefangen hatte, so hörte es auf. Weit weg vom Interesse der Medien, und trotzdem genau unter deren Augen. So wie "Stolz" für viele Skinheads der Einstieg war, so war "Erinnerungen" für ebenso viele der Ausstieg. Danach kam nichts mehr. "Stolz", "Deutschland", "Erinnerungen". Es war alles da, der Anfang, die Mitte und das Ende. Alles nachweisbar erfahren, gelebt und vertont. Die Band beurteilte die zurückliegenden Jahre nicht als einen Fehler oder einen Irrtum, sondern als eine Erfahrung, als eine Etappe auf einem steinigen Weg. Für die Böhsen Onkelz war ihre Skinheadvergangenheit damit erledigt.

Kevin kam gerne spät nachts nach Hause, auch wenn er wußte, daß Moni am nächsten Morgen um 5:30 aufstehen und arbeiten mußte. Grundsätzlich brachte er zwei/drei seiner unsensiblen Kollegen mit, die, wenn sie reinkamen, sogleich die Anlage aufdrehten. Metallica, Slayer, Ozzy und der Pegel bis zum Anschlag. Dann spuckten sie auf den Teppich, reiherten vom Balkon und ließen allesamt die schädelspaltenden Barbaren raushängen. "Die 28", diese Bezeichnung war inzwischen zum feststehenden Begriff für Kevins Wohnung geworden, verkam mehr und mehr zu einem übelriechenden Tempel des Exzesses. Kevin vorne, Kevin am härtesten, Kevin am schlimmsten. Moni war mit ihren Kräften schnell am Ende. Ihr Freund war unterwegs in die Hölle. Sie mußte sich von ihm trennen, wenn sie nicht mit ihm untergehen wollte, das wußte sie genau. Im Herbst ´87 fand sie eine neue Wohnung auf dem Sandweg und verließ die 28 unter Tränen. Als Moni fort war, wurde es noch schlimmer. Hier war nicht von Ruhestörung die Rede. Was in der 28 abging, konnte nur noch als blanker Terror bezeichnet werden. Tätowiererfeten und Rockertreffen, einen unmenschlichen Lärm und asozialstes betrunkenes Gesindel beklagten die Nachbarn. Dort habe sich der Abschaum getroffen, sagten sie, dort liefen Lack- und Lederpornos und Horror-Videos in voller Lautstärke. Die 28 war schnell zu einem Ort der Besessenheit geworden, an dem "Hellraiser" und "Tanz der Teufel - Teil 1" zum abendlichen Standardentertainment gehörten. Eine spärlich eingerichtete Wohnung war die 28. Ein großer Steintisch stand in der Mitte des "Wohnzimmers", um den sich eine abgewetzte Ledergarnitur gruppierte. Ein großes Schwarz/Weiß-Foto von Kevins Sturz ins Schlagzeug, während der Sexauer-Benefiz-Veranstaltung und ein Motörheadposter nahmen zentrale Plätze an der Wand ein. In einem Terrarium, das in einer Ecke des Raumes stand, vegetierte Susie, Kevins Boa-Constrictor, die mittlerweile gute einsfünfzig maß. Gleich daneben in einem kleineren Plexiglasbehälter lebten drei hochgiftige Sandvipern. Dünne, nervöse Viecher mit Hörnern auf der Nase. Kevin und seine Freunde liebten es, diese Vipern mit nackten, fiepsenden Babymäusen zu füttern oder mit niedlichen kleinen Kücken, die gar nicht begriffen, daß es mit ihnen schon wieder zu Ende ging. Reale Grausamkeiten, die sie mehr antörnten als der härteste Kettensägenstreifen. Die Weberstraße 28 war auch ein sicherer Ort für knallharte Rauscherrunden, um den die Polizei einen großen Bogen machte. "Wer bricht, kricht!"

Taxifahrern war die Adresse auf unangenehme Weise bekannt. Wenn sie Schnaps lieferten und danach ohne Bezahlung wieder vor die Tür gesetzt wurden, hatten sie großes Glück gehabt. Weniger Vorsichtige wurden in die Wohnung gezerrt und unter lautem Jubel und schlimmen Drohungen zum Mittrinken gezwungen. Die Tür war zu und wenn die Tür zu war, war drin, wer drin war, und die Tür blieb zu, manchmal von Freitag bis Dienstag, und sie wurde höchstens einmal geöffnet, um jemandem die Nase zu brechen oder den Dealer reinzulassen. Drinnen wurde unter infernalischem Krach gesoffen und gezecht, gelacht und gebrüllt. Kevin im Pogorausch, Trimmi in Unterhose auf dem Tisch stehend, mit einem laufenden Staubsauger als Gitarre und mittendrin Helmut W., gewalttätigster Alt-Skin Deutschlands, der die erste Nase Koka seines Lebens schnupfen wollte und besoffen wie er war, den ganzen Haufen vom Tisch blies. 4 Gramm, 650 Mark, ab in den Flokati, egal. Kevin verfügte über viel Geld. Ab ´87 sorgte er dafür, daß immer reichlich Drogen da waren. Berge von Speed und Koks, alles wurde weggerüsselt und hinterließ den "Frankfurter Kranz" um ihre Nasenlöcher. Nach jeder Schiene Speed mußten sie schnell einen Joint drüberrauchen, um dem Ganzen die paranoide Kante zu nehmen. Und wenn sie glaubten, zu stoned zu sein, legten sie schnell wieder eine neue Schiene. LSD, Pilze oder andere Halluzinogene, wenn verfügbar, sorgten grundsätzlich für die größte Begeisterung. Allerdings gab es kaum einen, der sich nicht schon hübsch überdosiert hatte. Auf den schmerzlichsten Lachflash folgte das tiefste Tief. Auf Zwerchfellkrampf folgten Schwitzhände und Magenflattern. Kevin war oft breit wie die Mainbrücken. Die Wände der 28 warfen sich in Falten und der Tisch begann zu schwimmen. Auf LSD oder Pilzen hatte so mancher Härtner und Zerrer seine stillen panischen Minuten, während derer er hinabtauchte, in den tiefen, ruhigen Spiegel seiner Seele und zurückschrak vor der grotesken Reflexion seines Ichs. Zurückgeworfen in die traurige, rauhbeinige Realität dieser stinkenden Wohnung. Aufwachen mit dem Gesicht im Aschenbecher und der Hand am Geschlecht.

Kapitel 12: Kneipenterroristen

Im Oktober ´88 meldete sich die Spiegel TV - Redaktion bei den Onkelz und fragte nach einem Interview. Die Band willigte ein und traf sich mit dem zuständigen Redakteur und seinem Kameramann im Proberaum der Böhsen Onkelz, den die Band seit einigen Jahren in einem alten Bunker in Offenbach unterhielt. Anwesend waren alle vier Onkelz, die zu den Fragen des Reporters Stellung nahmen.
Auszüge:

Reporter: Ja, aber, ähem, wenn ihr euch heute davon distanziert, war das damals wirklich Message oder ging es da um Kohle?
Pe (entrüstet): Auf keinen Fall, das war halt damals so...
Kevin: Um Kohle ging´s eigentlich noch nie.
Pe: Das war ein Gefühl, damals gab´s ja noch gar keine Skinheads, wir waren ja so ziemlich mit die ersten. Die erste Reihe sozusagen. Ich war völlig begeistert davon.
Stephan: Also damals, ich stehe auch heut´noch zu den Sachen. Aus dem einfachen Grund, weil ich es damals so empfunden hab´. Ich hab´ nie irgendwas für Kohle geschrieben, sondern einfach nur, ich hab das damals so gedacht, und deswegen hab ich das so geschrieben. Heute denke ich ein bißchen anders darüber, und deswegen würde ich heute sowas nicht mehr schreiben. Weil es eben auch zuviel mißverstanden wurde. Das war nicht in meinem Sinne oder nicht im Sinne der Band.
Reporter: Man wirft euch das äh von den Fans so ein bißchen vor. Seid ihr dabei, euch äh jetzt auch politisch davon ganz zu distanzieren, oder äh, ist es so, daß ihr vielleicht sogar die Skinbewegung so ein bißchen damit verratet?
Kevin (entrüstet): Nää... voll nicht...
Gonzo: Moment, was wirft man uns denn von den Fans vor? Was man uns vorwirft, ist, daß wir keine Skinheads mehr sind.
Kevin (entrüstet): Was für eine Skinbewegung denn?
Reporter: Äh...
Kevin: Die Leute, die jetzt noch Skins sind, das sind meistens, also zu 98% sind das Rechtsradikale. Oder, die sich auch politisch organisieren, weil es immer so heißt, daß man sich politisch, ohne sich nicht zu organisieren, ist man kein Skinhead...
Stephan: Das ist nicht mehr die gleiche Bewegung, wie sie früher war...
Kevin: Das, also das gab´s früher nicht. Von vorneherein müssen wir das mal klarstellen. Die Skinbewegung heute, die ist also nicht mehr unsere Bewegung. Von der distanzieren wir uns ganz weit.
Reporter: Ihr findet auch also diese Primitivskins zum Kotzen?
Pe: Naja, was heißt Primitivskins? Das kommt auf jeden einzelnen an. Wenn jemand n´Arschloch ist...
Stephan: Ich finde halt politische Leute zum Kotzen.
Pe: ...dann ist er ein Arschloch und wenn er dumm ist, dann kann er dumm sein...
Stephan: Es gibt auch Leute, die nicht mit mir einer politischen Meinung sind, die aber trotzdem unheimlich nette Kerle sind, mit denen ich mich auf eine andere Weise gut verständigen kann...
Pe: Ja...
Stephan: Das ist halt so eine Sache, wenn jemand ein Arschloch ist, eben, dann ist er halt ein Arschloch, ist doch egal, ob´s ein Skin, ein Punk oder irgendein Metaller ist. Das ist dann egal, ja!
Reporter: Du, hör mal, seid ihr richtig, also äh, aus Überzeugung Skins...
Stephan, Kevin, Gonzo, Pe: Ja, Ja, Ja, Ja...
Reporter: ...oder Modeskins
Stephan: Nee, wir waren richtig aus Überzeugung Skins, das kam aus uns heraus. Aus unserem tiefsten Inneren. ...
Reporter: Also, äh, Politik?
Gonzo: Uns interessiert sowas privat.
Stephan: Politik. Ich mach bestimmt noch mal Lieder über Politik, über Politiker oder so, aber halt, ich werd´ die dann nicht mit Namen ansprechen, sondern allgemein, die Situation, die hier herrscht, das werde ich bestimmt schon mal machen, aber... weil...
Reporter: ...die Scheinheiligkeit.
Stephan: Richtig, das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, weil eben diese ganze Unehrlichkeit...
Pe: Jeder hängt seine Nase nach dem Wind
Stephan: ... das stinkt mir halt doch ganz gewaltig. Weil die Leute machen sich irgendwie alle was vor und sind irgendwie alle schizophren, das ist halt ne Sache, die mir dann doch immer übel aufstößt.
Reporter: Wenn der Michael Kühnen beispielsweise sagen würde, äh, die Böhsen Onkelz hätte ich gerne zu meinem Kameradschaftstreffen.
Gonzo (lacht)
Stephan: Würden wir ablehnen, sofort. Würden wir lachen.
Reporter: Würdet ihr nicht machen?
Stephan: Ne.
Gonzo: Ich meine, die Republikaner haben uns ja auch schon gefragt.
Stephan: Ich meine zu Skinzeiten, hätten wir das nicht gemacht und das hätten wir auch heute nicht gemacht.
Kevin: Genau. Das hätten wir auch nicht zu Skinzeiten gemacht...
Stephan: Also vor Parteien, etcetera...
Reporter: Ihr laßt Euch nicht vor den Karren spannen?
Stephan: Vor keinen Karren. Wir spannen uns nur vor unseren eigenen Karren. Wie gesagt, die einzige Sache, für die ich vielleicht mal benefizmäßig was machen würde, das wären so Sachen wie vielleicht Greenpeace oder so was, wo ich mich wirklich persönlich identifizieren kann, wo ich auch hundertprozent dahinter stehen kann, aber das ist eben auch keine politische Bewegung, für mich jedenfalls nicht.
Reporter: Ja, OK. Dankeschön.
Kevin: Wann wird das ungefähr gesendet?

Gesendet wurde dieser Beitrag nie. Die Spiegel TV-Redaktion hielt es für besser, dieses Dokument nicht zu veröffentlichen. Mehrere Gründe mögen dafür gesprochen haben. Die Kameraführung und das Licht waren miserabel und der Reporter war noch schlechter. Er stotterte und stocherte, fand nichts und stocherte weiter, während die Band heillos durcheinanderquasselte. Sie rauchten, tranken Bier, rülpsten und Kevin war trotz Schminke auffallend blaß. Die Onkelz saßen in ihrem Proberaum, auf ihren Equipmentcases und gaben Antworten, die durchaus von Interesse hätten sein können. Vorausgesetzt, jemand hätte geahnt, was ihnen noch bevorstand. "Freddy Krüger" und "Mädchen" wurden nach dem Interview live eingespielt, um später den Bericht mit Musikschnipseln mediengerecht aufzumotzen. In der Redaktion mußte man die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben. Nicht nur, weil die Qualität des Rohmaterials so schlecht war, sondern auch, weil die vorgestellte Band alles andere, als eine "unglaubwürdige Nazi-Skinband" zu sein schien. Das Gegenteil war der Fall. Die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen war offensichtlich, entsprach jedoch nicht dem, was gewünscht wurde. Bei der Diffamierung der Band hätte der Spiegel womöglich geholfen, an einer Beihilfe zur Rehabilitation schien er sich nicht beteiligen zu wollen.

Kapitel 13: Nightmare on Weberstraße

Dreimal, im Verlauf zweier Monate, zog sich Stephan eine Nase H. und beim dritten Mal spürte er bereits, wie sich jemand an seinem Verstand zu schaffen machte und jetzt drauf und dran war, ihm alle Entscheidungen aus der Hand zu nehmen. Der Körper reagierte bei allen gleich. Jeder, der zum ersten Mal Heroin nahm, der mußte sich nach kurzer Zeit übergeben. Beim zweiten und dritten Mal, wurde es allmählich besser. Sobald sich der Körper an das Heroin gewöhnt hatte, fing es an schön zu werden, und spätestens dann war es zu spät, um aufzuhören. Stephan war zu abgeschreckt, um weiter zu machen. Er sagte Kevin seine Meinung, auf eine Art, wie er es immer tat. Er habe es probiert, er habe gemerkt, daß es scheiße war und er würde sofort damit aufhören. Keine Diskussionen, kein Gerede, jetzt und hier würde er aufhören, und wenn Kevin weitermachen würde, täte er das auf eigene Verantwortung. Kevin war ein loses Bündel Chaos, ohne das geringste Vertrauen in das eigene Handeln und ohne jedes Gefühl für "genug". Kevin war falsch abgebogen und schon außer Sichtweite. Er war so schnell, daß ihn keiner mehr erreichen konnte, und wenn sie ihn riefen, dann hörte er nur noch ein Raunen, das von so weit weg zu kommen schien, daß es sich nicht einmal mehr lohnte, die Augen zu öffnen. Was den Rausch anging, war Heroin anders, als alles, was er bis jetzt genommen hatte. Tausend blitzende Orgasmen und zerplatzende Galaxien, irgendwo zwischen den Lenden und dem Neokortex. H. war ein fester Griff, eine starke Hand, die von ganz unten kam und die ihn hinabzog in einen Strudel aus lauwarmer Gleichgültigkeit und flauschiger Lethargie. Heftig angezogen, von einem Magneten aus schwarzem Samt, sank er tiefer und tiefer in seinen Kuschelsarg Nr.28. Als er sich schließlich aufgelöst hatte und willenlos davontrieb, verlor er alles, was er jemals besaß, einschließlich der Fähigkeit, sich die Schuhe zuzubinden.

Kapitel 14: Auf dem Rücken der Klapperschlange  

Abschnitt 4: Professionelle Phase

Im vierten und letzten Abschnitt wird der musi- kalische und geschhäftliche Erfolg der Band unter die Lupe genommen. Besonderes Au- genmerk wird auf den explodierenden Pres- sekrieg seit Herbst 1992 gerichtet und auf die privaten Entwicklungen der vier Musiker. Die
Böhsen Onkelz sind seit 1991 eine profes- sionelle Band. Zum einen soll dieser Abschnitt aufzeigen, welche Vorstellungen die Öffentlichkeit von der Band hat, und zum anderen, wie weit diese Vorstelllungen von der Relalität entfernt sind. Neben dem Einblick in das Verhalten der Presse und der Musikindustrie, behandeln diese Kapitel auch den Absturz des Sängers Kevin Russell in das Frankfurter Drogenmilieu. Hier soll zu- sammengefasst werden, sollen Diskussions- ansätze geliefert werden und soll das Bild der Band korrigiert bzw. vervollständigt werden. Das Dortmunder Konzert im November 1996 bildet den Schlusspunkt.

Kapitel 15: Noch lange nicht genug

´89 - ´91, drei Jahre und sieben Gigs. Vor der Bühne der Böhsen Onkelz flogen regelmäßig die Fetzen. Das war schon immer so gewesen und das sollte auch so bleiben. Diese brutal aussehenden Schubsereien waren in Wirklichkeit nichts anderes als ein simples Ritual. Besessenes Abreagieren und freies Aus-sich-herausgehen. Tanz und Aggression, Gesänge und tatsächliche Anbetung in der ersten Reihe. Zu wirklichen Verletzungen kam es während dieser Pogokämpfe nur selten und meistens unbeabsichtigt. Wenn jemand stürzte, gehörte es seit jeher dazu, ihm wieder aufzuhelfen. ´89 - ´91 war eine Zeit, in der die Onkelz häufiger Ansagen von der Bühne herab machen mußten. Immer wieder tauchten Glatzen auf, von denen einige meinten, durch das Vortragen von rechten Parolen, auf sich aufmerksam machen zu müssen.
Seit dem historischen Mauerfall im November ´89 traten in Deutschland die Skandale, Affären, Vertuschungen und die Korruption noch offener zu Tage. Große Verunsicherung und Frustration hatte sich in Ostdeutschland breitgemacht. Die Jugend war ohne Halt. Da hatte es zunächst ein autoritäres Regime gegeben, das keinen Ausbruch duldete, aber plötzlich war diese Autorität verschwunden. Honnecker und Mielke waren zu geistigen und körperlichen Wracks geworden und das, was vorher noch als unantastbar und unstürzbar gegolten hatte, entpuppte sich als billiges Kartenhaus. Aus Eltern wurden auf einmal Kollaborateure und Denunzianten. Lehrer und Nachbarn wurden als Spitzel enttarnt. Die Skinheadszene West/Ost war inzwischen zu großen Teilen nach rechts abgewandert, in den Bereich der letztmöglichen Ausgrenzung. Red- oder Sharpskins mit linkspolitischer Prägung fielen kaum ins Gewicht und fanden in den Artikeln der Presse ohnehin keine Erwähnung. Es war nicht die Politik, die hier eine primäre Rolle spielte, sondern die Gewaltakzeptanz, die im Alltag entstand und anschließend von den Gewaltausübenden politisch zu legitimieren versucht wurde. Während die Gesellschaft unterschwellig zum Gebrauch von Ellenbogen gegenüber Schwächeren riet, war sie gleichzeitig schockiert über die Zunahme dieser Gewalt. Während sie auf der einen Seite damit beschäftigt war, eine konsumgeile und denkfaule Jugend heranzuzüchten, in jeder nur erdenklichen Art abhängig von zensierten Medien, überschüttete sie auf der anderen Seite diese Jugendlichen mit Gewalt, Trendterror, Meinungsdiktat und Brutalität, lehnte die Übernahme der Verantwortung für diese Zustände jedoch kategorisch ab. Schon in den Zeichentricksendungen für Fünfjährige wurden Konflikte mit Gewalt gelöst

Kapitel 16: El senor es mi pastor, nada me faltara

Als die Böhsen Onkelz im Juni ´92 nach Hennef bei Bonn reisten, um mit Helmut Rüssmann die Songs für ihr achtes Studioalbum einzuspielen, wußte niemand außerhalb der Band, wie schlimm es wirklich um ihren Sänger stand. Kevins Eskapaden und Exzesse waren nicht mehr zu überbieten gewesen. Ständig hatten ihm Tod oder Kollaps gedroht. Allmächtiger, was hatte dieser Mensch einen Bock auf seinen Tod gehabt. Wäre er nur nicht so ein Lappen gewesen, dann hätte er sich bestimmt einen sauberen Luftröhrenschnitt oder einen präzisen Kopfschuß beigebracht. Es war klar, er hatte die Arschkarte gezogen. Bis zu diesem Tage war sein Leben ein einziger finsterer Novembernachmittag gewesen. Ein kurzer Lichtblick gegen 3:00, ein klarer Moment gegen 3:30, der Rest war Sturm und Regen. Edgar-Wallace-Wetter, wann immer er die Augen öffnete. Alles, was sich noch in ihm geregt hatte, hatte er erschlagen, alle seine Lampen hatte er ausgetreten. Als Sänger der Onkelz trug er für gewöhnlich den Mantel des Härtesten und er trug ihn gerne, aber das war seit Trimmis Tod vorbei. Er war am Boden zerstört, im Keller. Auf dem Weg ins schlimmste, asozialste Elend, in das ein Mensch nur abrutschen konnte. Seit zwei Jahren war Kevin Fixer und schwerer Alkoholiker. Windmühlenkriege und weiße Mäuse. Die Schwärze hatte ihn beim Wickel. Die Aura des Härtesten war von ihm gewichen und darunter kam die Nacktheit des Traurigsten zum Vorschein. Auf´s härteste tätowierte und bebartete Gestalt. Der Herr der Augenringe. Wann immer im Zusammenhang mit den Böhsen Onkelz von der Hölle die Rede gewesen war, dann war es Kevin gewesen, der am weitesten in diese Hölle vorgedrungen war. So weit, daß er nicht ohne fremde Hilfe und nicht ohne schwere Verstümmelungen an Leib und Seele zurückkehren konnte.

Kapitel 17: Bezirksmeisterschaften im Geschicklichkeitsgrillen

Aber der Reihe nach.
Da war zunächst der Gig in Kuhardt am 3. Oktober. Der örtliche Veranstalter rechnete mit gut 3000 Leuten. Zwei Drittel der Karten waren bereits im Vorverkauf abgesetzt worden. Der Kuhardter Gemeinderat, die Repräsentanten eines 1700-Seelen Dorfes in der Südpfalz, hatte sich eilends zusammengefunden und den lokalen Organisator Gerd Weber zu einer Absage gedrängt. Der Herxheimer "Kreis gegen Neonazis und Fremdenhaß" protestierte in einem offenen Brief an die Stadt und wies auf die Gefahren eines solchen Konzertes hin. Die Kuhardter Dorfseele kochte. Angst und Hass breiteten sich aus.
Vor dem Konzert:
"...beim Start der Deutschland-Tournee im schwäbischen Aalen besuchten etwa 200 bis 300 Skinheads das Konzert, die sich mit Hitlergruß und ausländerfeindlichen Parolen bemerkbar machten. ...aus Polizeikreisen verlautete, daß bei "Onkelz"-Konzerten immer mit Ärger zu rechnen ist..."
(Südwestdeutsche Zeitung vom 19.9.92)
und nach dem Konzert:
"... - Polizei verzeichnet störungsfreien Verlauf - Texte nicht zu verstehen... Kuhardt ist noch einmal davon gekommen...die Szene erinnerte mehr an ein Umtrunk im Freien, als an einen Aufmarsch gewalttätiger Skinheads... die zahlreichen Pickel im Gesicht, verrieten daß es sich eher um pubertierende Jugendliche, denn um gewaltbereite Rechstradikale handelte...
(Südpfalz vom 5.10.92)

Neben den Tageszeitungen stürzten sich nun auch diverse Vierfarbmagazine auf das Thema. Trendblätter und Stadtillustrierte, die nichts anderes zu tun hatten, als die schmutzige Wäsche anderer Leute zu waschen und dabei lässige Sprüche zu dreschen. Bravo für Erwachsene. Das Magazin "Tempo", das noch vor 2 Jahren aus auflagentechnischen Gründen ein ausgedehntes "Michael Kühnen Interview" veröffentlicht hatte, wußte in seiner Oktober ´92 Ausgabe die Böhsen Onkelz ganz genau einzuordnen.
"Tarnung ist alles - die rechte Rockband Böhse Onkelz und ihr halbherziger Versuch, sich von ihren faschistischen Fans zu lösen
...Stephan Weidner... seine braunen Haare sind lang und gepflegt, sein Kinnbart ist säuberlich gestutzt, seine Haut ist braungebrannt. Er lebt vegetarisch, seine Freundin ist iranischer Abstammung und beim teuren Italiener ist er Stammgast... ihre Konzerte wurden oft verboten, denn sie endeten fast immer in Gewalt- und Zerstörungsorgien... nach zwölf Jahren im rechten Musikgeschäft sind die Onkelz die Helden der Szene. Rechte Bands covern ihre alten Stücke, Böhse Onkelz T-Shirts sind in Rostock, Cottbus und Quedlinburg genauso zu sehen wie auf jedem Skinhead-Treffen. Alles ein Irrtum?..."
Der Artikel ging danach in diesem Stil weiter. Ein "Tempo-Geheimagent" und "V-Mann", der sich mit drei Onkelfans auf das Konzert der Band in Aalen getraut hatte, und der gesehen haben wollte, wie eine türkische Frau ihr Kind vor Skinheads retten mußte, überschüttete seine Leser mit herzzerreißenden Klischees. Alles bildmäßig "exclusiv" und spiegelmäßig "aufgedeckt". Danach folgte ein tiefer Einblick in die sozialen Verhältnisse der Fans, die anscheinend ganz nett, dem Reporter aber einfach ein bißchen zu dumm waren. Jedenfalls war das ganze Onkelzmilieu für die Temporedaktion höchst anrüchig und daher einen Zweiseiter wert.

"Der Spiegel" selbst, die Ikone der journalistischen Seriosität und der Inbegriff der politischen Aufgeklärtheit, widmete seine Titelstory wieder einmal dem Rechtsradikalismus. In der 42/92 Ausgabe vom Oktober, unter dem Titel "Anklang an Weimar", untersuchte der Spiegel die politische Situation im Jahre 3 nach der Wiedervereinigung. Das Fazit:
"Die etablierten Bonner Parteien rücken zusammen nach rechts, und schmieden neue Gesetze - zur Abwehr von Ausländern oder zum Abbau von Grundrechten. Sie legen selbst Hand an das bisherige Parteigefüge. Die Rechten werden koalitionsfähig."
Alles in Allem eine saubere Recherche, die tief blicken ließ in die Machenschaften und Vorhaben der deutschen Politiker und die viele Hintergründe aufdeckte. Wäre da nicht wieder dieser kleine Absatz über die Musik gewesen: "Radikale Rockbands mit eindeutigen Namen wie ..., oder ..., heizen den Rechts-Trend kräftig an. Die Kultband Böhse Onkelz (Refrain: "Endlich wieder fiese Lieder") inzwischen auf Anraten ihrer Plattenfirma mit entschärften Texten auf der Bühne, schaffte mit ihrer neuesten CD als erste Rechts-Kapelle den Sprung in die Hitlisten (Platz 5)..."
Dazu veröffentlichte der Spiegel auf der gleiche Seite ein falsches Foto. Das der Bluesband "Formation SO 36", mit dem Untertitel: "Rechten-Band: ´Böhse Onkelz´, Rechten-Parolen: ´Fiese Lieder´"


Das Berliner Stadtmagazin "Zitty", durch die Vorfälle von Neukölln schwer aufgerüttelt, beteiligte sich ebenfalls am wiederentdeckten Trend der Greuelpropaganda. "Wir sind die Kraft für Deutschland! - Rechter Rock - was nun?" hieß ihr Bericht, in dem sie über den gefährlichen Fascho-Rock vom Leder zogen und hübsch die Namen der schlimmsten Kombos runterleierten. Natürlich gehörten auch die Böhsen Onkelz in diesen Artikel und der Journalist, der kein gutes Haar an der Band ließ, wußte die Fakten auf´s Phantasievollste zu verknüpfen.
"...und dann sind da noch die Böhsen Onkelz. Die wollen sich jetzt mal ganz dolle ändern. Und die Medien der Republik nehmen gierig und inflationär daran teil... doch so einfach kann man es sich nicht machen. Schließlich wurde die Böhse Onkelz LP "Der nette Mann" mit dem Türken-Song am 15. August auf Verlangen mehrerer Jugendämter auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften gesetzt und darf seit dem nicht mehr beworben, im Rundfunk oder im Fernsehen gespielt werden... Die Platte fiel unter Paragraph 18 des Strafgesetzbuches, forderte sie doch laut Bundesprüfstelle zur "Propagierung nationalsozialistischen Gedankengutes, zu Rassismus und Gewalt auf"... T-Shirts mit Onkelzlogo in Hoyerswerda, Rostock, Hünxe, Quedlinburg und Dresden... Wie aber ist es zu verstehen, daß die 92er LP der Böhsen Onkelz "Heilige Lieder" mit sechsstelligen Verkaufszahlen auf Platz 5 der offiziellen Charts stand? Am halbgaren Dumpfmetalsound alleine kann das wohl kaum liegen. Vielmehr ist mittlerweile schon längst das passiert, wovor Jugendsenator Krüger Ende Oktober warnte: "Die Kategorien der alten BRD greifen nicht mehr. Es ist ein salonfähiger Gewaltkult entstanden, dem mit den Mitteln bloßer Jugendarbeit nicht mehr beizukommen ist. Das Problem ist, daß diese rassistischen Gewaltverherrlichungen inzwischen die gesellschaftliche Mitte ergriffen haben und langsam in das unterbewußte kulturelle Reservoir einsickern. Dem muß von staatlicher Seite offensiv begegnet werden..."

Zum einen war das unterbewußte kulturelle Reservoir in Deutschland schon seit eh und je stark gewaltgeladen, zum anderen lag der Erfolg der Onkelz nicht nur am "halbgaren Dumpfmetalsound", sondern auch an ihren einprägsamen Texten, die von ihren Fans nicht als "rechts", sondern als "ehrlich" verstanden wurden. Ungeheuerlich der Vorwurf, daß die Jugendlichen, die sich zu ihrer diffusen Gewalt bekannten, diese Gewalt in die gesellschaftliche Mitte getragen haben sollen. Als wenn es vor ´89 in dieser Mitte keine Gewalt gegeben hätte. Lächerlich auch die Behauptung, daß dem Problem mit "bloßer Jugendarbeit" nicht mehr beizukommen war. Das hörte sich ja so an, als wäre die Jugendarbeit bis jetzt ganz erfolgreich gewesen. Schwer zu sagen, wie Jugendsenator Krüger auf dies schmale Brett gekommen war. Zwischen den Zeilen dieses Artikels veröffentlichte "Zitty" zwei Fotos. Eins von der "Netten Mann" - Fotosession von ´84 (vier B.O. Glatzen mit Hosenträgern vor einer Steinmauer), das die Redaktion als "heute" bezeichnete, und eins von der "W.h.n.l.n.g."- Fotosession von ´91 (lange Haare, Sonnenbrillen), das mit "einst" ausgewiesen war. Irrtum, Blödheit oder Absicht? Den Blick in die Welt konnte man sehr leicht mit einer Zeitung verstellen, das hatte die Geschichte schon mehrfach bewiesen.



Biolek bekam jetzt einen von den messerscharfen Weidnerblicken, der ihm kurz den Atem nahm. Alfred Biolek "Talkshowgastgeber" und "Hobbykoch" fühlte sich angegriffen und suchte nach einer Erklärung:

Biolek: Ich habe, äh, ein Journalist, der darüber geschrieben hat, äh, ich gehe davon aus, daß eine gewisse Sorgfaltspflicht eines Journalisten, also ich mein´ wenn er selbst...
Stephan: Wissen Sie, die Sorgfaltspflicht von Journalisten, die habe ich oft genug kennengelernt. Ich habe Artikel über mich, da geht es um Ausschreitungen nach Konzerten von uns, in Städten, wo wir nie gespielt haben....

Danach kam nicht mehr viel. Stephan bezog ein weiteres Mal Stellung, ließ sich nicht festnageln und verwies erneut darauf, daß er jeder Zeit bereit sei auf einem Konzert "Rock gegen Rechts" aufzutreten, um seinen Standpunkt auch vor der Öffentlichkeit zu vertreten. Genauso, wie er es in diesem Moment, in dieser Talkshow tat. Solche Sachen würde er unterstützen, aber er würde für keine Partei spielen, sich niemals festlegen, weder links noch rechts. Biolek und Wüllenweber wollten wenigstens noch einmal auf die vielen Onkelz-T-Shirts in Rostock und Hoyerswerda aufmerksam machen. Als wenn wirklich jemand da gewesen wäre und sie gezählt hätte. Wüllenweber kramte den "Bomberpiloten" hervor und verriet, daß die Onkelz dieses Lied auch in Kaiserslautern gespielt hätten. Stephan schmetterte ihn ab. Bomberpilot sei kein Kriegslied, sondern ein Lied über solche Idioten, die so etwas taten, wie Bomben abwerfen. Es waren nicht die Onkelz, die mit ihrem Lied "Bomberpilot" von 1987 die "Tornado-Diskussion" angeleiert hatten. Ebenso waren sie nicht die Erfinder der Sidewinder Raketen, mit denen die Tornados ausgestattet waren. "Tempo" war das Magazin, daß die Frage stellte, als es in einem ihrer Artikel um den "coolen" Job eines Bomberpiloten ging:

"...Was wird das für ein Gefühl sein, wenn Du mit 1400 Km/h über Europa bretterst und du siehst unter dir die serbische Panzerkolonne und dein Befehl lautet ´Drück ab´?"

Walter Wüllenweber bekam jetzt die volle Breitseite.

Stephan: Warum seid Ihr denn Journalisten geworden? Weil Ihr keine Musik machen könnt, weil Ihr zu beknackt seid, die Texte zu verstehen.
Biolek: Ich hab´ eine Frage Herr Weidner. Glauben Sie nicht, daß viele heute jetzt nicht nur böse Journalisten sind, sondern, daß auch viele übersensibel sind wegen der Dinge, die passieren?
Stephan: Natürlich. Das erkenne ich doch auch vollkommen an. Ich weiß auch, daß wir Fehler gemacht haben in unserer Vergangenheit. Das einzige, was ich möchte, ist einfach anzuerkennen, daß man sich verändert, daß man Erfahrungen sammelt, daß ich nicht derjenige bin, der ich vor zehn Jahren war, das sind Sie auch nicht, und daß wir eine gewisse Entwicklung mitgemacht haben, Dinge erkannt haben, die Verantwortung erkannt haben,
Biolek: Ist aus Saulus ein Paulus geworden?
Stephan: Ach Saulus, Paulus, also wissen se...

Gelächter.
Biolek wollte einfach nicht locker lassen. Zweimal setzte er noch an, zweimal schnitt ihm Stephan das Wort ab, bevor er seine Attacke überhaupt formuliert hatte.

Biolek: Sie müssen verstehen, daß Ihnen das ewig...
Stephan: Warum muß ich das? Warum können nicht ein paar Leute umdenken?

1992 war das intensivste Jahr, das die Onkelz als Band bis jetzt erlebt hatten. Der unerwartete Erfolg der "Heiligen Lieder" und der darauffolgende Pressekrieg, die Situation, in der Kevin steckte, und die Situation, in der das Land steckte, hatten die Band gründlich durchgerüttelt. Der Tod Trimmis und die letzte Veröffentlichung zogen eine innere und äußere Krise ungeahnten Ausmaßes nach sich. 1992 gipfelte in einer Pressekonferenz, die der Frankfurter Dezernent für Multikulturelle Angelegenheiten, Daniel Cohn-Bendit, mit den Böhsen Onkelz und mit Frankfurter Größen aus der Musik und der Politik am Tage der Lichterkette abhielt. Ein Ereignis, das am gleichen Abend, am 22.12.92, auch in der Hessenschau im HR3 und im Heute Journal des ZDF diskutiert wurde. Daniel Cohn-Bendit hatte in den Römer geladen. Was als Diskussion gedacht war, wurde schnell zu einem Tribunal. Michel Friedmann (CDU), Fritz Rau (Rau-Konzertagentur), Ralf Scheffler (Batschkapp) und David Lieberberg (Alte Oper) vertraten die Anklage, während Cohn-Bendit und der Frankfurter Kabarettist und Schriftsteller Manfred Beltz um Toleranz baten und um die Anerkennung der grandiosen Möglichkeit, mit den Onkelz einige tausend Jugendliche vom rechten Rand wegzuholen. Diese weitsichtige Chance hatte man beim Festival letzte Woche vertan und die aggressiven, selbstgerechten Beiträge von Lieberberg und Friedmann verdeutlichten, wie schwer es war, ohne Emotionen an das Thema heranzugehen.

Friedmann: Ich sehe die Böhsen Onkelz sich nur in Presseterminen distanzieren.
Gonzo und Stephan gleichzeitig: Dann kommen Sie doch mal zu einem Konzert von uns.
Friedmann: Ich möchte Sie sehen bei den Demos, ich möchte Sie sehen mit eigenen Plakaten, ich möchte Sie so sehen, wie jeden anderen auch, der Fehler und auch keine Fehler gemacht hat, der geschwiegen hat, der zugeschaut hat, und hier fehlt mir die Glaubwürdigkeit... Die Mauern, von denen hier gesprochen wird, sind die Mauern des Textes, der Platten, die jedenfalls einige Jahre mit dem Titel der Böhsen Onkelz identifiziert werden konnten, weil Texte nun mal schwarz auf weiß stehen und gesungen werden...

Scheffler forderte einen Gesinnungstest, um herauszufinden, ob sich die Onkelz wirklich geändert hatten, und Fritz Rau, der den Eindruck machte, als würde er jeden Moment einschlafen, ihm reichte das alles nicht. Er wollte Taten sehen. Natürlich wurde die Pressekonferenz durch eine Gruppe der Antifa Frankfurt massiv gestört, als diese in den Römer eindrang und ein Transparent entrollte. "Onkel Bendit ist böhse" stand darauf. Und: "Keine Multifaschokultur - Gegen Verharmlosungsstrategien - Kein Vergeben - Kein Vergessen."
Während draußen in der gesamten Stadt die Kerzen brannten und man Parolen, wie "Nie wieder Faschismus" durch Megaphone hören konnte, baten Stephan und Gonzo im Römer um die Anerkennung ihrer Einsicht.

Stephan zu einem Journalisten des Heute Journal: Ich bin einfach maßlos enttäuscht muß ich ganz ehrlich sagen. Ich denke, daß ich einfach merke, wie Leute, die doch sehr, sehr, oder denen das Dogma anheftet, doch sehr offen zu sein, mit fadenscheinigen Argumenten versuchen, uns in dieser rechten Ecke zu halten.
Gonzos Schlußwort: Für mich der Punkt an der ganzen Sache: Ist es heutzutage noch möglich über den eigenen Schatten zu springen, oder nicht?
Ich meine hier in der Diskussionsrunde haben wir gesehen, daß es wahrscheinlich sehr schwer werden wird, aber ich hoffe es jedenfalls, und das ist für mich das Schlußwort zu der ganzen Veranstaltung.

Kapitel 18: Hessisch Baja  

Kapitel 19: Das Rainbow-Projekt  

Kapitel 20: Die Elvis-Falle

Erfolg lähmte die Rebellion. Erfolg machte satt, und ein satter Bauch rebellierte nicht gern. Ohne Hunger keine Wut. Seit ´92 klingelte es in der Onkelzkasse. Es wäre gelogen, wenn jemand behauptete, daß sie den Erfolg nicht genossen. Es wurde schwer konsumiert, aber dennoch mußte erwähnt werden, daß sie viele Leute an ihrem Glück teilhaben ließen. Sie waren nie geizig. Stephan gab gerne. Nicht nur bezahlte er Pias Studium der Tiermedizin, er versorgte auch seine Mutter, seine Schwestern und sogar seinen Vater, als dessen Geschäfte mehr und mehr den Bach runtergingen. Stephan fühlte sich permanent für seine Umgebung verantwortlich. Viele Jobs im B.O. Management wurden von Freunden erledigt. Während Pe, Gonzo und Kevin sich mit weniger zufrieden gaben und ein abgesichertes Leben in getrennten Freundeskreisen lebten, vollführte Stephan Weidner einen schwindeligen Drahtseilakt zwischen Aufruhr, Wut, Einsicht, Luxus, Rock und Rebellion. Er fuhr einen Sportwagen und leistete sich die teuersten Dinge, sprach dabei über Widerstand und Revolte und machte es den Menschen in seiner Umgebung schwer, ihm noch zu vertrauen. Trotzdem glaubten ihm die meisten, nicht weil sie belogen werden wollten, sondern weil Stephan den Eindruck machte, als wenn er wirklich wüßte, wovon er sprach. Im Ernstfall, und das nahm ihm jeder ab, würde er wissen, worauf es ankäme, dann würde er den Wagen stehenlassen, Zündschlüssel und alles, dann würde er seinem Haus, seiner Stadt und seinem Land den Rücken zukehren, ohne sich noch einmal umzudrehen. Das Verständnis und die Einsicht würden ihn langsam aber sicher in die Einsamkeit treiben, vorausgesetzt er würde auf den Ruhm verzichten können. Weidner legte die moralische Meßlatte sehr hoch. Er war angefüllt bis an den Rand mit seinen eigenen Idealen.

"Ich werde nicht lang genug in Deutschland bleiben, um zu mutieren, mir wird Geld nicht den Charakter verderben..."
(Stephan in Break Out, März ´95)

Glaubte man den Onkelz, dann würden sie ihren Weg an die Spitze der deutschen Hardrockszene gehen, kontrovers bis unter die Schuppen, und würden dann, wenn sie ganz oben ständen, den Laden dicht machen, vom Sockel steigen und sagen: "Leckt uns, das war´s!" Das war die Mission, von Anfang an. Dagegen sein und den Weg zu Ende gehen, als Beispiel und Vorbild der Ablehnung, ohne sich parteipolitisch mißbrauchen zu lassen. Daß dieser Weg eine Strategie war, wäre gelogen gewesen. Er ergab sich mit jedem Schritt, den sie taten, er kam aus ihnen heraus, aus dem Bauch. Auf dem Höhepunkt des Erfolges, auf der Spitze des Berges anzugelangen und dann zufrieden die Koffer zu packen, war ein Versprechen, das 1995 noch nicht eingelöst war. Würden die Böhsen Onkelz eine Geschichte werden, mit Anfang, Mittelteil und Ende, oder würden sie sich an den traurigen Abstieg heranwagen, den Weg nach unten in eine von Altersschwäche und Geldgier gezeichnete Mittelmäßigkeit?
Wie oft konnte man die Leistung vom Vorjahr noch überbieten?


Die Böhsen Onkelz waren die wichtigste deutsche Band der neunziger Jahre. Nicht als Exportschlager und auch nicht als "gehyptes" Produkt, sondern als Gegengewicht, als Auffanglager für die, die sich nicht ergeben wollten. Der letzte Ort der Ausgrenzung war eben nicht links oder rechts, sondern in der Mitte, zwischen den Fronten, außerhalb des Parteiengefüges. Dort lag die Kraft, und die Medien wußten das, besser noch, sie wußten, wo es war, aber nicht was es war. Eine interne, scheinbar prollige Auseinandersetzung, die das unbewußte Ziel einer Gewaltverarbeitung verfolgte. Was die Medien in Wirklichkeit kritisierten war die Tatsache, daß es keine bürgerliche Form der Problembewältigung war. Kein Teetrinken, kein Diskutieren, sondern augenscheinlich ein trunkenes Gegröle. Es waren Rockkonzerte, verdammt. Eine Heilung, kein Aufhetzen. Ein Austreiben des Teufels, mit allem was dazu gehörte. Man mußte es nur zu deuten wissen. Über einen Zeitraum von mittlerweile fünfzehn Jahren, hatten die Onkelz fest an sich geglaubt. Ihre Kraft entstand durch nichts anderes, als durch ihren Glauben an sich selbst. Immer wieder tauchten "heilende" Metaphern und Allegorien in den Songs auf. Die Texte wimmelten nur so von Sprichwörtern und Gleichnissen, von eigenem Antrieb und eigener Kraft, und von Trotz gegenüber jeglicher Autorität. Selbstvertrauen war das zentrale Motiv. "Stolz", "Gesetze der Straße", "Nie wieder", "Zehn Jahre", "Das Wunder der Persönlichkeit", "Langer Weg", "Ich mache was ich will" etc... Kein Glaube an eine Konfession, an eine Regierung oder an das Fernsehen, sondern echte Unbeirrbarkeit, Starrsinn wenn nötig. "... spürt die Kraft, die euch umringt..." Seit fünfzehn Jahren brannten sie lichterloh, und genau deshalb zog es Jugendliche aus allen Lagern zu ihren Konzerten. Punks, Skins, Hools, Rocker und Teenies gleichermaßen, Gymnasiasten und Sonderschüler, Azubis und Studenten. Weder das Klischee der "Anarcho-Punkband", noch das der "Nazi-Skinband", noch das der "satanischen Hard Rockband" traf den Kern der Sache.


Die Fachpresse war auf Onkelzkurs, während die Unverbesserlichen in den Redaktionen der Boulevardpresse in die alte Kerbe schlugen und immer wieder die zwei Köder "Türken raus" und "Deutschland den Deutschen" unter die Leser brachten. Der deutsche Musikhandel war zunehmend verwirrt. "Die Böhsen Onkelz spalten den Handel" schrieb der "Musikmarkt" im Oktober ´95. Als die großen Ketten von WOM und Karstadt eine Umfrage in ihren Fillialen durchführten, demnach sich die große Mehrheit angeblich gegen die Band aussprach, war der Kleinhandel unschlüssig. Für sie konnte ein solcher Entschluß über den Fortbestand ihrer Existenz entscheiden. Sie hatten die Chance, sich eine Band zu schnappen, die von den großen Läden nicht geführt wurde und konnten somit Kunden in ihre Läden ziehen, setzen sich allerdings der Gefahr der Rufschädigung und der Repression durch Autonome aus. Die, die gegen die Onkelz waren, stellten sich meist als schlechter informiert heraus. Diese Händler, die oft zu Wort kamen, in Leserbriefen, Radiointerviews oder im Fernsehen, brachten die Dinge schwer durcheinander. Jahreszahlen, Lieder, Texte und Hintergründe, alles war verschwommen, wurde mal so und mal so dargestellt. Von Fakten keine Spur.
"Die Böhsen Onkelz spalten den Handel" und da gab es Leute, die behaupteten, daß die neuen Alben der Onkelz zu angepaßt wären. Wenn eine Band den Handel spaltete, dann bedeutete das nichts anderes, als das sich tatsächlich etwas bewegte. Der Handel war bekanntlich etwas, das nicht leicht zu spalten war. Weidner, Gonzo und Udo Lange hatten die Händler zu einem Pressetermin in die Konferenzsääle des Frankfurter Flughafens eingeladen, wo sie auf jede Frage bereitwillig antworteten. Wie die Kamele, mußten Gonzo und Stephan ihre Skinheadzeit, 3 von 15 Jahren Bandgeschichte, immer wieder durchkauen. Am Ende waren alle verwirrter als zuvor. Was die beiden sagten, stand im krassen Gegensatz zu dem, was die Händler aus der Zeitung wußten. Zudem nahmen sie kein Blatt vor den Mund und sagten ihre Meinung, gegen Politik von rechts und links, klar, laut und deutlich. Damit allerdings konnte keiner etwas anfangen. In ihrer Oktoberausgabe des "WOM-Journals", unter dem Titel "Lieber Stephan Weidner", veröffenlichten die Geschäftsführer der Kette, Rolf Brandt und Jürgen Burkhardt, einen offenen Brief an den Bandleader der Böhsen Onkelz:

"... Eines möchten wir betonen: Wir unterstellen weder, daß einzelne Gruppenmitglieder der Böhsen Onkelz heute Neonazis sind, noch daß wir die Band als solche heute als rechtsradikal einstufen. Unserer Einschätzung nach enthält das neue Onkelz-Album "Hier sind die Onkelz" auch keine als rechtsradikal oder ausländerfeindlich zu bezeichnenden Textstellen. Des weiteren haben wir in unseren Überlegungen auch den Fakt berücksichtigt, daß in Einzelfällen von bestimmten Medien unkorrekt über die Gruppe berichtet wurde... doch benutzt die Gruppe den Bandnamen weiter als Markenzeichen und schlägt so immer noch aus den Sünden von einst Kapital. An der Kapitalisierung dieses Markenzeichens wollen wir uns nicht beteiligen.

Mit freundlichen Grüßen, WOM World of Music
Geschäftsleitung: Burkhardt / Brandt"

Wenn eine Band sich ´85/´86, "öffentlich" oder nicht, von ihrem Umfeld trennte und kein Journalist davon etwas mitbekommen hatte, wenn diese Band ihre Einstellung und ihre Musik änderte und sechs Jahre später, 1992 ohne Radio Airplay und ohne Videoclips, mit wenig Interviews und haarsträubender Presse bis auf den fünften Platz der Top Ten vorstieß, und wenn sich dann erst die Medien auf die Band stürzten und dieses Phänomen politisch zu erklären versuchten, wobei sie die Distanzierung auf einen diffusen Zeitraum zwischen 1991 und 1995 verlegten und auch sonst alles durcheinander brachten, nach eigenem Ermessen und Belieben, dann konnte man nicht sagen, daß...
"...in Einzelfällen unkorrekt berichtet wurde."
Zumal sich die unkorrekte Berichterstattung, sprich Unwahrheit oder Halbwahrheit, nicht nur auf die Onkelz bezog, sondern auch auf die Hippie-, Punk-, Skinheadszene, die per se als gefährlich dargestellt wurde. Schmocks und Schreiberlinge der übelsten Sorte hatten sich an das Thema herangewagt. Es mußte leider davon ausgegangen werden, daß wer im Falle der Onkelz schlampig recherchierte, auch sonst nicht besonders akkurat vorging. Eine Tatsache, die beunruhigte. Wer überprüfte wirklich den Wahrheitsgehalt der Presse? Was, wenn wir dem "Stern" all seine grotesken Placebo-Informationen abgekauft hätten?


"Opium für´s Volk", die 96er Veröffentlichung der Toten Hosen, stand wochenlang auf Platz 1 der deutschen Longplay Charts. In dieser Zeit hatte sich die Scheibe eine knappe Million mal verkauft. "...ich will nicht ins Paradies, wenn der Weg dorthin so schwierig ist..." das war genau das, was sie den Hosen übelnahmen. Diese lappenhafte Einstellung. Der Weg war schwierig und deswegen wollten sie ihn nicht gehen. Das sagte eigentlich alles über die innere Einstellung der fünf Düsseldorfer aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Böhsen Onkelz niemals über die Toten Hosen oder andere Musiker, die ihnen feindlich entgegenkamen, gesprochen oder sich zu irgendeinem Kommentar hinreißen lassen. Weder in Interviews, noch auf der Bühne. Und das, obwohl es genug Gelegenheit und Gründe dafür gegeben hätte.

"... ich beteilige mich nicht an einer Aktion im Musik Express, der eine ganzseitige Anzeige der Böhsen Onkelz schaltet. Das ist zynisch. Die Band Böhse Onkelz erregte durch ihre ausländerfeindlichen Texte Aufsehen..."
(Herbert Gröhnemeyer in Express, Köln, 24.10.92)

"Entscheidend ist doch, daß sich diese Band in einem bestimmten Umfeld bewegt, da ist mir auch egal wie sie selber über diese Sachen denken oder reden. Und auf einmal verkaufen sie wahnsinnig viele Platten, und da frage ich mich, ob das vielleicht alles Leute sind, die morgen die nächsten Brandbomben schmeißen. Ich habe in ein paar Stücke reingehört und finde die Musik absolut grauenhaft. Sollte diese Band wirklich so viele Platten verkaufen, wie es den Anschein hat, dann finde ich das beängstigend."
(Wolf Maahn in Gitarre und Bass, Januar 1993)

"...ein haariges Thema. Gerade mit den Böhsen Onkelz ist das so eine Sache. Ich will von denen ganz offensiv hören: Alle Rechten sind Scheiße. Und das habe ich von denen noch nicht gehört..."
(die Toten Hosen in Auspuff, Frankfurt, April 1994)

"...zwischen ... und den Böhsen Onkelz steht ´ne Kuschelrock LP..."
(aus "die Bestie in Menschengestalt", Die Ärzte 1994)

"... es ist ein bißchen dürftig, wenn eine ehemalige Nazi-Combo von heute auf morgen behauptet, wir sind nicht mehr politisch, wir halten uns raus. Die Böhsen Onkelz stehen immer noch für abgeschmackte Landserheftchen Romantik, nach dem Motto: Ich möchte lieber im Kugelhagel im Freien sterben als im Sitzen im Büro... Ich kann mich nur wundern, daß Virgin so etwas unters Volk bringt. Jedes weitere Wort über die Onkelz ist für mich Zeitverschwendung..."
(Campino von den Toten Hosen im Playboy, April 1996)

"...ich bin in der Punkszene groß geworden, war oft in Frankfurt und weiß zum Beispiel, daß Stefan, der Bassist glaube ich, auch damals in Hannover auf der anderen Seite stand und da mit denen sein Brüllerchen und sein "Sieg Heilchen" gemacht hat. Es kotzt mich halt total an, daß jetzt überall steht, daß sie nie was mit der Sache zu tun gehabt hätten. Die können doch nicht glauben, daß die Leute, die die Band vor acht Jahren kannten, alle tot sind. Die sollen das Ding ruhen lassen... oder die Sache mit dem Türken Raus Song, da behaupten die eiskalt, sie hätten das Ding als Punkband geschrieben. Die Onkelz waren nie eine Punkband, das war immer ´ne Skingruppe, seit 1980..."
(Staffi, Gitarist von Rumble Militia, in ZAP Nr.44, 1991)

"... ich bin nur einmal in meinem Leben in Hannover gewesen und das war nicht 1983. Eigentlich hätte ich Dir, Staffi, ein bißchen mehr Grips zugetraut. Auf diese Art jedenfalls machst Du Dich und das wofür Du eintrittst unglaubwürdig. Fuck You!!!"
(Aus dem Antwortschreiben von Stephan Weidner an das ZAP-Fanzine, Frühjahr 1992)

"... Wir selber haben gehört, daß wir in den Geschäften neben den Böhsen Onkelz stehen, das hat uns immer gestört. Darum haben wir auf der "Trinker an die Macht"-Platte auf´s Textblatt "Nazis Raus" geschrieben. Damit haben wir die ganze Situation, sowie unsere Einstellung geklärt..."
(Dimple Minds Statement in "Metal Axes", Österreich, Januar 1992)

"...Hört nur wie sie winseln, heucheln und schrein, seht nur wie sie betteln, Bitte laßt uns Rockstars sein...Nazischwein bleibt Nazischwein..."
(aus dem Song "Die lieben Tanten" von der Marler Punkband "Hass", 1997)

"...Aber die Onkelz sind keine Nazi-, sondern einfach nur eine Scheißband. Das ist der Unterschied, die war´n blöd und die sind blöd..."
(Christoph Schneider, Schlagzeuger von "Rammstein" im Zillo Stadtmagazin, 1997)

Dazu kam noch eine Reihe von Hassliedern gegen die Onkelz aus der rechten Szene. Dennoch hatten sie eine Konfrontation vermeiden wollen. Die meisten Aussagen waren so dumm, daß man bei B.O. nur darüber lachte. Jedenfalls eine Zeitlang. 1996 aber war das Maß voll. Campinos unüberlegte Aussagen im Playboy und an anderer Stelle brachten das Faß zum Überlaufen. In gewohnter Weise bekamen die Toten Hosen genau das, was jeder in so einem Falle bekam. Einen Onkelzsong, handgeschneidert, selbst gereimt und selbst vertont im bandeigenen Studio. Einen musikalischen Gruß, eine Weidneransage.
Viele Leute, besonders die Hosen, fanden diesen Kleinkrieg albern und nahmen den Onkelz die Provokation übel. "Du sollst den Tag..." war eine Warnung, sonst nichts. Wer keine Ahnung hatte, der sollte endlich sein dreckiges Maul halten. Campino genauso wie all die anderen. Dazu kam der Ärger der Onkelz über die unsagbar simplen Texte der Hosen. "Opium für´s Volk" hatte ihrer Meinung nach überhaupt nichts, aber auch nicht das Geringste mit Punk zu tun, und so etwas wie "Funpunk" gab es gar nicht. Punk, wenn er sich schon so nennen mußte, durfte keinen Spaß mehr machen, nicht 1996. Asozial ja, aber nicht pseudoasozial. Social Distortion ja, aber nicht Green Day und auch nicht Offspring. Und "zehn kleine Jägermeister"? Von wegen Prollmusik. Waren die Hosen nicht auf ihrem eigenen Karnevalswagen durch Düsseldorf gezogen? Und galt der deutsche Karneval zu Punkzeiten nicht als das Prolligste überhaupt? Bommerlunder? Jägermeister? Kevin hatte das Zeug geballert, da brauchte ihm wirklich keiner mehr mit "Jägermeister" zu kommen. Ein Glas davon unter seiner Nase und er würde Campino vor die Füße reihern. Und dann sollte ihm noch einer sagen, daß Brechen keinen Spaß machte.
Natürlich bauschte die Presse diese kleine Meinungsverschiedenheit gewaltig auf und sprach umgehend vom Onkelz-Hosen-Krieg. Das wiederum war schade, weil es bei den Fans große Schnittmengen gab. Stephan wollte mit diesem Lied einfach nur einen Schlußstrich ziehen. Immerhin gab es bereits Anfang ´93 eine Anfrage der Onkelz an das Hosenmanagement, ob man sich nicht einmal zusammensetzen sollte, um über die "Dinge" zu reden. Erst als dieser Versuch einer Annäherung von Campino brüsk zurückgewiesen worden war und die Angriffe der Hosen in der Presse nicht aufhörten, entschieden sich die Onkelz zu diesem Schritt .

"...Insofern seid Ihr - schuldig oder nicht - wirklich die Band, an der die Öffentlichkeit ein Exempel statuieren will... Täglich rufen in Düsseldorf irgendwelche Zeitungs- und Radiofuzzis an und wollen meinen Kommentar über Euch hören. Ich habe mich bisher fast immer geweigert, etwas zu sagen... Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, was eine Ausprache mit den Hosen Euch bringen sollte...”
(Aus dem Antwortschreiben von Campino, Düsseldorf 2.2.1993)


Konnte es sein, daß man die Jugend nur deshalb in zwei Lager aufteilte, in links und rechts, gerade damit sie sich bekämpfte und ein unsichtbarer Dritter darüber lachte oder sich das Geld einsteckte, das dabei raussprang? Konnte es sein, daß irgendjemand dafür sorgte, daß es immer so blieb? Es gab eine Menge Fragen, die im Fernsehen diskutiert wurden, aber niemand stellte die richtigen. Und wenn, dann wurde er abgeblockt. Krampfhaft versuchte uns jemand zu erzählen, alles sei in Ordnung. Die Wahrheit, und das war auch die Wahrheit der Onkelz, ihrer Fans, und all derer, die wirklich nachdachten, hieß aber: Gar nichts war in Ordnung. Und das, was uns als Lösung angeboten wurde, war in Wirklichkeit nichts anderes als eine halbherzige Schadensbegrenzung. Wir waren Gefangene in unserem eigenen Fernsehknast, kurz vor dem kulturellen Supergau. Die richtigen Fragen, die es zu stellen galt, waren allerdings in der Tat politischer Natur und würden darum in einer Biographie über die Böhsen Onkelz keine Erwähnung finden. Nur soviel: Die Frankfurter Band versuchte, ihre Gewalt zu verarbeiten, aber die "Medien" brachten sie mit ihren dummen Geschichten immer wieder zurück. Um es mit den Chilli Peppers auf einen Punkt zu bringen:

"Just because you´re paranoid, doesn´t mean, they´re not out to get you!"

Nur, weil die Fans angeblich den Eindruck machten, daß sie keine Interessen hatten außer Saufen, Prügeln, Ficken und Onkelzmusik, hieß das nicht, daß es in Wirklichkeit auch so war, hieß nicht, daß sie nicht auch Antworten haben wollten oder daß sie mit ihrer Situation zufrieden waren. Und vielleicht hatten viele der Fans dieselben Fragen. Was ging eigentlich ab? Was wurde hier eigentlich gespielt? Wer schürte wirklich die Gewalt und den Hass? Hatte der Frankfurter Philosoph Adorno - ob seine Seminare nun unplanmäßig verliefen oder nicht, sei dahingestellt - hatte er nicht nachgewiesen, daß das Fernsehen und die Massenmedien alle Eigenschaften einer Droge aufwiesen und die niedersten Instinkte stimulierten? Hatte er nicht auch davor gewarnt, daß das Fernsehen ursprünglich die Realität imitiert hatte und sich dieser Vorgang irgendwann umkehren würde, so daß die Realität das Fernsehen imitierte? Wo kam die Beeinflußung zur Gewalt wirklich her? Jeder einzelne Onkelzfan machte eine Entwicklung mit und nur die Wahrheit konnte allen helfen. Jeder einzelne mußte getrennt beurteilt werden, und nur das "Bewußtmachen" brachte die "Erkenntnis" der Zustände mit sich. Die Wahrheit zu sagen, war ein schmutziges Geschäft. Erst ignorierte man die Band und belegte sie mit Verboten, dann diffamierte und denunzierte man sie, manipulierte die öffentliche Meinung und säte Hass. Man bekämpfte und boykottierte, und als alles nichts half, überschüttete man sie mit Geld. Wer war eigentlich "man"?

Kapitel 21: Unter dem Auge des Gonz

"Opium für´s Volk", die 96er Veröffentlichung der Toten Hosen, stand wochenlang auf Platz 1 der deutschen Longplay Charts. In dieser Zeit hatte sich die Scheibe eine knappe Million mal verkauft. "...ich will nicht ins Paradies, wenn der Weg dorthin so schwierig ist..." das war genau das, was sie den Hosen übelnahmen. Diese lappenhafte Einstellung. Der Weg war schwierig und deswegen wollten sie ihn nicht gehen. Das sagte eigentlich alles über die innere Einstellung der fünf Düsseldorfer aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Böhsen Onkelz niemals über die Toten Hosen oder andere Musiker, die ihnen feindlich entgegenkamen, gesprochen oder sich zu irgendeinem Kommentar hinreißen lassen. Weder in Interviews, noch auf der Bühne. Und das, obwohl es genug Gelegenheit und Gründe dafür gegeben hätte.

"... ich beteilige mich nicht an einer Aktion im Musik Express, der eine ganzseitige Anzeige der Böhsen Onkelz schaltet. Das ist zynisch. Die Band Böhse Onkelz erregte durch ihre ausländerfeindlichen Texte Aufsehen..."
(Herbert Gröhnemeyer in Express, Köln, 24.10.92)

"Entscheidend ist doch, daß sich diese Band in einem bestimmten Umfeld bewegt, da ist mir auch egal wie sie selber über diese Sachen denken oder reden. Und auf einmal verkaufen sie wahnsinnig viele Platten, und da frage ich mich, ob das vielleicht alles Leute sind, die morgen die nächsten Brandbomben schmeißen. Ich habe in ein paar Stücke reingehört und finde die Musik absolut grauenhaft. Sollte diese Band wirklich so viele Platten verkaufen, wie es den Anschein hat, dann finde ich das beängstigend."
(Wolf Maahn in Gitarre und Bass, Januar 1993)

"...ein haariges Thema. Gerade mit den Böhsen Onkelz ist das so eine Sache. Ich will von denen ganz offensiv hören: Alle Rechten sind Scheiße. Und das habe ich von denen noch nicht gehört..."
(die Toten Hosen in Auspuff, Frankfurt, April 1994)

"...zwischen ... und den Böhsen Onkelz steht ´ne Kuschelrock LP..."
(aus "die Bestie in Menschengestalt", Die Ärzte 1994)

"... es ist ein bißchen dürftig, wenn eine ehemalige Nazi-Combo von heute auf morgen behauptet, wir sind nicht mehr politisch, wir halten uns raus. Die Böhsen Onkelz stehen immer noch für abgeschmackte Landserheftchen Romantik, nach dem Motto: Ich möchte lieber im Kugelhagel im Freien sterben als im Sitzen im Büro... Ich kann mich nur wundern, daß Virgin so etwas unters Volk bringt. Jedes weitere Wort über die Onkelz ist für mich Zeitverschwendung..."
(Campino von den Toten Hosen im Playboy, April 1996)

"...ich bin in der Punkszene groß geworden, war oft in Frankfurt und weiß zum Beispiel, daß Stefan, der Bassist glaube ich, auch damals in Hannover auf der anderen Seite stand und da mit denen sein Brüllerchen und sein "Sieg Heilchen" gemacht hat. Es kotzt mich halt total an, daß jetzt überall steht, daß sie nie was mit der Sache zu tun gehabt hätten. Die können doch nicht glauben, daß die Leute, die die Band vor acht Jahren kannten, alle tot sind. Die sollen das Ding ruhen lassen... oder die Sache mit dem Türken Raus Song, da behaupten die eiskalt, sie hätten das Ding als Punkband geschrieben. Die Onkelz waren nie eine Punkband, das war immer ´ne Skingruppe, seit 1980..."
(Staffi, Gitarist von Rumble Militia, in ZAP Nr.44, 1991)

"... ich bin nur einmal in meinem Leben in Hannover gewesen und das war nicht 1983. Eigentlich hätte ich Dir, Staffi, ein bißchen mehr Grips zugetraut. Auf diese Art jedenfalls machst Du Dich und das wofür Du eintrittst unglaubwürdig. Fuck You!!!"
(Aus dem Antwortschreiben von Stephan Weidner an das ZAP-Fanzine, Frühjahr 1992)

"... Wir selber haben gehört, daß wir in den Geschäften neben den Böhsen Onkelz stehen, das hat uns immer gestört. Darum haben wir auf der "Trinker an die Macht"-Platte auf´s Textblatt "Nazis Raus" geschrieben. Damit haben wir die ganze Situation, sowie unsere Einstellung geklärt..."
(Dimple Minds Statement in "Metal Axes", Österreich, Januar 1992)

"...Hört nur wie sie winseln, heucheln und schrein, seht nur wie sie betteln, Bitte laßt uns Rockstars sein...Nazischwein bleibt Nazischwein..."
(aus dem Song "Die lieben Tanten" von der Marler Punkband "Hass", 1997)

"...Aber die Onkelz sind keine Nazi-, sondern einfach nur eine Scheißband. Das ist der Unterschied, die war´n blöd und die sind blöd..."
(Christoph Schneider, Schlagzeuger von "Rammstein" im Zillo Stadtmagazin, 1997)

Dazu kam noch eine Reihe von Hassliedern gegen die Onkelz aus der rechten Szene. Dennoch hatten sie eine Konfrontation vermeiden wollen. Die meisten Aussagen waren so dumm, daß man bei B.O. nur darüber lachte. Jedenfalls eine Zeitlang. 1996 aber war das Maß voll. Campinos unüberlegte Aussagen im Playboy und an anderer Stelle brachten das Faß zum Überlaufen. In gewohnter Weise bekamen die Toten Hosen genau das, was jeder in so einem Falle bekam. Einen Onkelzsong, handgeschneidert, selbst gereimt und selbst vertont im bandeigenen Studio. Einen musikalischen Gruß, eine Weidneransage.
Viele Leute, besonders die Hosen, fanden diesen Kleinkrieg albern und nahmen den Onkelz die Provokation übel. "Du sollst den Tag..." war eine Warnung, sonst nichts. Wer keine Ahnung hatte, der sollte endlich sein dreckiges Maul halten. Campino genauso wie all die anderen. Dazu kam der Ärger der Onkelz über die unsagbar simplen Texte der Hosen. "Opium für´s Volk" hatte ihrer Meinung nach überhaupt nichts, aber auch nicht das Geringste mit Punk zu tun, und so etwas wie "Funpunk" gab es gar nicht. Punk, wenn er sich schon so nennen mußte, durfte keinen Spaß mehr machen, nicht 1996. Asozial ja, aber nicht pseudoasozial. Social Distortion ja, aber nicht Green Day und auch nicht Offspring. Und "zehn kleine Jägermeister"? Von wegen Prollmusik. Waren die Hosen nicht auf ihrem eigenen Karnevalswagen durch Düsseldorf gezogen? Und galt der deutsche Karneval zu Punkzeiten nicht als das Prolligste überhaupt? Bommerlunder? Jägermeister? Kevin hatte das Zeug geballert, da brauchte ihm wirklich keiner mehr mit "Jägermeister" zu kommen. Ein Glas davon unter seiner Nase und er würde Campino vor die Füße reihern. Und dann sollte ihm noch einer sagen, daß Brechen keinen Spaß machte.
Natürlich bauschte die Presse diese kleine Meinungsverschiedenheit gewaltig auf und sprach umgehend vom Onkelz-Hosen-Krieg. Das wiederum war schade, weil es bei den Fans große Schnittmengen gab. Stephan wollte mit diesem Lied einfach nur einen Schlußstrich ziehen. Immerhin gab es bereits Anfang ´93 eine Anfrage der Onkelz an das Hosenmanagement, ob man sich nicht einmal zusammensetzen sollte, um über die "Dinge" zu reden. Erst als dieser Versuch einer Annäherung von Campino brüsk zurückgewiesen worden war und die Angriffe der Hosen in der Presse nicht aufhörten, entschieden sich die Onkelz zu diesem Schritt .

"...Insofern seid Ihr - schuldig oder nicht - wirklich die Band, an der die Öffentlichkeit ein Exempel statuieren will... Täglich rufen in Düsseldorf irgendwelche Zeitungs- und Radiofuzzis an und wollen meinen Kommentar über Euch hören. Ich habe mich bisher fast immer geweigert, etwas zu sagen... Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, was eine Ausprache mit den Hosen Euch bringen sollte...”
(Aus dem Antwortschreiben von Campino, Düsseldorf 2.2.1993)


Konnte es sein, daß man die Jugend nur deshalb in zwei Lager aufteilte, in links und rechts, gerade damit sie sich bekämpfte und ein unsichtbarer Dritter darüber lachte oder sich das Geld einsteckte, das dabei raussprang? Konnte es sein, daß irgendjemand dafür sorgte, daß es immer so blieb? Es gab eine Menge Fragen, die im Fernsehen diskutiert wurden, aber niemand stellte die richtigen. Und wenn, dann wurde er abgeblockt. Krampfhaft versuchte uns jemand zu erzählen, alles sei in Ordnung. Die Wahrheit, und das war auch die Wahrheit der Onkelz, ihrer Fans, und all derer, die wirklich nachdachten, hieß aber: Gar nichts war in Ordnung. Und das, was uns als Lösung angeboten wurde, war in Wirklichkeit nichts anderes als eine halbherzige Schadensbegrenzung. Wir waren Gefangene in unserem eigenen Fernsehknast, kurz vor dem kulturellen Supergau. Die richtigen Fragen, die es zu stellen galt, waren allerdings in der Tat politischer Natur und würden darum in einer Biographie über die Böhsen Onkelz keine Erwähnung finden. Nur soviel: Die Frankfurter Band versuchte, ihre Gewalt zu verarbeiten, aber die "Medien" brachten sie mit ihren dummen Geschichten immer wieder zurück. Um es mit den Chilli Peppers auf einen Punkt zu bringen:

"Just because you´re paranoid, doesn´t mean, they´re not out to get you!"

Nur, weil die Fans angeblich den Eindruck machten, daß sie keine Interessen hatten außer Saufen, Prügeln, Ficken und Onkelzmusik, hieß das nicht, daß es in Wirklichkeit auch so war, hieß nicht, daß sie nicht auch Antworten haben wollten oder daß sie mit ihrer Situation zufrieden waren. Und vielleicht hatten viele der Fans dieselben Fragen. Was ging eigentlich ab? Was wurde hier eigentlich gespielt? Wer schürte wirklich die Gewalt und den Hass? Hatte der Frankfurter Philosoph Adorno - ob seine Seminare nun unplanmäßig verliefen oder nicht, sei dahingestellt - hatte er nicht nachgewiesen, daß das Fernsehen und die Massenmedien alle Eigenschaften einer Droge aufwiesen und die niedersten Instinkte stimulierten? Hatte er nicht auch davor gewarnt, daß das Fernsehen ursprünglich die Realität imitiert hatte und sich dieser Vorgang irgendwann umkehren würde, so daß die Realität das Fernsehen imitierte? Wo kam die Beeinflußung zur Gewalt wirklich her? Jeder einzelne Onkelzfan machte eine Entwicklung mit und nur die Wahrheit konnte allen helfen. Jeder einzelne mußte getrennt beurteilt werden, und nur das "Bewußtmachen" brachte die "Erkenntnis" der Zustände mit sich. Die Wahrheit zu sagen, war ein schmutziges Geschäft. Erst ignorierte man die Band und belegte sie mit Verboten, dann diffamierte und denunzierte man sie, manipulierte die öffentliche Meinung und säte Hass. Man bekämpfte und boykottierte, und als alles nichts half, überschüttete man sie mit Geld. Wer war eigentlich "man"?


Der 23. November 1996 war wohl der denkwürdigste Tag in der sechzehnjährigen Geschichte der einhundertfünfunddreißig Onkelzkonzerte, die es bis dahin gegeben hatte. Die ausverkaufte Dortmunder Westfalenhalle, die mit 15.500 Fans aus dem Ruhrpott und der Umgebung vor lauter Euphorie fast abhob, erlebte an diesem Abend das spektakulärste Konzert, das Band und Fans bis dahin gesehen und gehört hatten. Die größte Konzerthalle Deutschlands war bis in die höchsten Ränge gefüllt. Alleine der Innenraum war mit 10.000 Leuten überbelegt. Das neue Bühnenbild bestand aus 8m hohen schwarz/weißen Fotoplanen. Auf der linken Seite war es ein monströses Bild von Pe´s Nase und rechts war Kevin´s verstümmeltes Ohr zu sehen, daß wie ein großes Sonnensegel vor der PA hing. Die gesamte Rückwand der Bühne, vor der Pe auf seinem Podest saß, war ein einziges riesiges Auge von gut 4m Höhe und 8m Breite. Das Auge des Gonz. In Dortmund waren alle synchron. 15.500 Kehlen vereint, 31.000 Hände im Takt. Wer nicht klatschte hielt ein Feuerzeug hoch.

glaubst du alles was ich sage, glaubst du du weißt wer ich bin
stellst du niemals fragen, warum wir wurden wie wir sind
die ironie mit der wir spielen, die ihr so schwer versteht
der schatten im verstand, der in jedem von uns lebt

Ein asozialer Feuertaumel von brennender Intensität und eiskalter Gänsehaut und dennoch kein einziger Zwischenfall. In Dortmund 1996 waren alle "E.I.N.S." Das letzte Konzert der Tour. Vom äußersten Security Vorposten vor der Halle, bis zum Cateringmädel in der Küche, vom blinden Metalfan mit weißem Stock auf der Behindertentribüne, bis zum blassesten, eingedrücktesten Teenie in der ersten Reihe, von Hool zu Hool, von Kevin bis Gonzo und von Stephan bis Pe, langhaarig, kurzhaarig, beglatzt oder bezopft, Fred Perry Hemden, Lederjacken und sogar Antifa-T-Shirts, viel zu penetrant, um ignoriert zu werden. Da hatten sie dem Ruhrpott ganz dreist den atemlosen Hessenvirus eingepflanzt, und sogar die Backliner Hot Dog, Boris und Tommy, die für die Instrumente der drei Musiker zuständig waren und nach sechs Wochen Tour auf dem Zahnfleisch gingen, konnten sich hinter der Bühne kaum zurückhalten. Jedes Lied ein Orkan. Vielleicht ist es nicht allen Fans aufgefallen, aber Kevin war besser als jemals zuvor. Vor den Gigs sagte er immer: "Oh, München? Hier habe ich noch etwas gut zu machen" oder "Oh, Kassel? Hier habe ich auch noch etwas gut zu machen" Mit jedem Konzert der Tour, wuchs er über sich hinaus. "Ich kann noch besser, ich kann noch besser..." Kevin Russell zurück aus der Gosse. Gewalttätiger Vorzeigedämon der Medienmacht und ehemaliger Inbegriff von Skinheadkult, Hassfigur eines jeden deutschen Punks, Ex-Startätowierer, Ex-Hardcore-Junkie und Alkoholvernichter, clean und lebendig. Was den Teufel anging, so hatte er sich in respektvollem Abstand postiert, den Hut in der Hand. Kevin hatte sich aufgerappelt, losgesagt und freigesungen. Vor dem Teufel hatte er keine Angst mehr. Der Teufel, in welcher Verkleidung er auch kommen sollte, als Friedensstifter und Weltverbesserer, als Gentleman oder als Kommerzgötze, als Amphetamin oder Jägermeister, er würde über Kevin Russell und die Böhsen Onkelz keine Macht mehr haben. Die Seele der Band war unantastbar. Eine Handbewegung und der Ruhrpott schwappte...


nichts ist für die ewigkeit
nichts bleibt wie es war
nur vier jungs aus frankfurt
sind schon lange lange da
die welt hat uns verlangt
sie hat nichts besseres verdient
habt ihr noch nicht erkannt...

... warum es böhse onkelz gibt

Der Autor

Der Autor, Edmund Hartsch (*1963) kommt aus Frankfurt und genießt seit 1987 das Vertrauen der Band. Zusammen mit Stephan Weidner betrieb er von 1989 bis 1991 die "Cadillac Ranch" einen Frankfurter Skatboardladen. Edmund Hartsch hat bis 1991 als freier Journalist für verschiedene deutsche und amerikanische Skate-, Snow- und Surfmagazine gearbeitet. "Danke für nichts" ist sein erstes Buch. Hartsch arbeitet seit 1997 beim B.O. Management als freier Mitarbeiter, zuständig für Pressearbeit, Bandbetreuung, Internetredaktion, Fanzineredaktion und Archiv. Er lebt seit 1993 in San Jose - Costa Rica, Frankfurt und auf Ibiza.

Buch-Infos

Hartsch, Edmund:
Danke für Nichts - Böhse Onkelz
Frankfurt am Main: BO Management 1997
ISBN: 3-00-001743-7

23 x 27 cm, Softcover, 25,90 EUR
23 x 27 cm, Hardcover, 30,00 EUR

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